Auswahlaxiom

Das Auswahlaxiom ist ein Axiom der Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre. Es wurde erstmals von Ernst Zermelo 1904 formuliert. Anschaulich besagt es, dass man aus jeder nichtleeren Menge einer beliebigen Ansammlung ein Element „auswählen“ kann.

Aus jeder Vase lässt sich eine Murmel auswählen – auch bei unendlich vielen Vasen

Für endliche Mengen kann man das auch ohne dieses Axiom folgern, daher ist das Auswahlaxiom nur für unendliche Mengen interessant.

Auswahlfunktion

Definition

Sei eine Menge nichtleerer Mengen. Dann heißt

eine Auswahlfunktion für , falls zu jedem Element ein Element zugeordnet wird. F wählt also aus jeder Menge in genau ein Element aus.

Beispiele

  • Sei . Die auf durch
  • definierte Funktion ist eine Auswahlfunktion für .
  • Für eine endliche Menge von nichtleeren Mengen ist es trivial, eine Auswahlfunktion anzugeben: Man wählt von jeder Menge irgendein bestimmtes Element aus, was problemlos möglich ist. Man braucht das Auswahlaxiom hierfür nicht. Ein formaler Beweis würde Induktion über die Größe der endlichen Menge verwenden.
  • Für die Potenzmenge einer natürlichen Zahlen ist eine Auswahlfunktion gegeben durch das Minimum der Menge, also . Die Existenz eines Minimums ist aufgrund der Wohlordnung der natürlichen Zahlen gegeben.
  • Für die Menge beschränkter reeller Intervalle ist eine Auswahlaxiom gegeben, indem man auf den Mittelpunkt abbildet.

Auswahlaxiom und äquivalente Formulierungen

Motivation

Im Allgemeinen ist es nicht möglich, zu jeder Menge einen Auswahlfunktion anzugeben. Für welche Fälle das Auswahlaxiom relevant ist, sei an den folgenden Beispielen verdeutlicht:

  • Man kann schon für eine allgemeine abzählbare Menge von zweielementigen Mengen in ZF (nicht ZFC, d. h. ohne das Auswahlaxiom) nicht die Existenz einer Auswahlfunktion beweisen.
  • Dasselbe gilt etwa für die Existenz einer Auswahlfunktion für die Menge aller nichtleeren Teilmengen der reellen Zahlen.

Aussage

Das Auswahlaxiom lautet dann: Für jede Menge nichtleerer Mengen gibt es eine Auswahlfunktion. Äquivalente Formulierungen sind:

  • Die Potenzmenge einer beliebigen Menge ohne die leere Menge hat eine Auswahlfunktion (Zermelo 1904).
  • Sei eine Menge von paarweise disjunkten nichtleeren Mengen. Dann gibt es eine Menge , die mit jedem genau ein gemeinsames Element hat (Zermelo 1907, ZF).
  • Sei eine beliebige Indexmenge und eine Familie von nichtleeren Mengen , dann existiert eine Funktion mit Definitionsbereich , die jedem ein Element von zuordnet: .

Zum Auswahlaxiom äquivalente Sätze

Setzt man die ZF-Axiome voraus, dann gibt es eine Vielzahl an wichtigen Sätzen, die zum Auswahlaxiom äquivalent sind. Die wichtigsten darunter sind das Lemma von Zorn und der Wohlordnungssatz. Zermelo führte das Auswahlaxiom ein, um den Beweis des Wohlordnungssatzes zu formalisieren. Die Namen Lemma und Satz rühren daher, dass diese Formulierungen nicht so unmittelbar einsichtig erscheinen wie das Auswahlaxiom selbst.

Kontroversen und Diskussion in der Philosophie

Kurt Gödel zeigte 1938, dass das Auswahlaxiom im Rahmen der Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre keinen Widerspruch ergibt, wenn man die Widerspruchsfreiheit aller übrigen Axiome annimmt.[3] 1963 aber zeigte Paul Cohen, dass auch die Negation des Auswahlaxioms nicht zu einem Widerspruch führt.[4] Beide Annahmen sind also vom formalistischen Standpunkt aus akzeptabel.

Das Auswahlaxiom gehörte zu den kontroversesten Axiomen der Mengenlehre. Es postuliert die Existenz einer Auswahlfunktion. Man hat aber trotzdem kein Verfahren, wie man eine solche konstruieren könnte. Man spricht in diesem Fall von einer schwachen Existenzaussage. Daher wird das Axiom immer wieder von Konstruktivisten als unintuitiv kritisiert. Aus der Maßtheorie alleine seien folgende häufig kontrainuitiv empfundenen Ergebnisse genannt:[5]

  • Der Satz von Vitali besagt, dass nicht jede Teilmenge der reellen Zahlen Lebesgue-messbar ist. Im Beweis wird das Auswahlaxiom verwendet. Robert M. Solovay konnte 1979 sogar innerhalb von ZF und unter Voraussetzung der Existenz einer unerreichbaren Kardinalzahl ein Modell angeben, wo jede Teilmenge der reellen Zahlen messbar ist. Damit ist auch der Beweis erbracht, dass das Auswahlaxiom für den Satz von Vitali notwendig ist.[6]
  • Auf den vorherigen Punkt aufbauend, ließen sich weitere paradox anmutende Ergebnisse der Maßtheorie konstruieren, wie etwa das Banach-Tarski-Paradoxon.

Einige Physiker wie John Baez sind daher der Meinung, dass ZFC das Kontinuum nur unzureichend modelliere. Es gebe „in jeder größeren physikalischen Theorie schwierige, mathematische Probleme, wenn man die Raumzeit als Kontinuum modelliert.“[7] Dies führt zur Fragestellung, ob sich Sätze, für deren Beweis üblicherweise das Auswahlaxiom verwendet wird, wie der Satz von Hahn-Banach, so abschwächen lassen, dass sie ohne Auswahlaxiom bewiesen werden können, aber dennoch alle wichtigen Anwendungen der Physik abdecken.

Trotzdem wird das Auswahlaxiom von der großen Mehrheit akzeptiert, vor allem aufgrund der vielen zum Auswahlaxiom äquivalenten Aussagen. In vielen Zweigen der Mathematik, darunter auch neueren wie der Nichtstandardanalysis, führt es zu besonders ästhetischen Ergebnissen. Da aber auch unintuitive oder unerwünschte Aussagen folgerbar sind, unterstellt Horst Herrlich dem Auswahlaxiom eine „janusköpfige Natur“.[8]

Abwandlungen

Schwächere Aussagen

Gelegentlich werden auch Abschwächungen des Auswahlaxioms diskutiert. Häufig werden folgende zwei Axiome genannt:

Stärkere Aussagen

Das Auswahlaxiom folgt, wie Wacław Sierpiński 1947 bewies, aus der verallgemeinerten Kontinuumshypothese.[9] Ebenso ist das von Gödel formulierte Konstruierbarkeitsaxiom stärker als das Auswahlaxiom.

Innerhalb von Klassentheorien, wie etwa die Neumann-Bernays-Gödel-Mengenlehre, lässt sich das Auswahlaxiom auch für Klassen ausdehnen.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Siehe Gillman, loc. cit.
  2. Andreas Blass, Axiomatic set theory. In: Contemporary Mathematics. Band 31, 1984 Kapitel: Existence of bases implies the axiom of choice. S. 31–33, online (englisch) pdf
  3. Kurt Gödel: The consistency of the axiom of choice and of the generalized continuum-hypothesis. In: Proceedings of the U.S. National Academy of Sciences. Band 24, 1938, S. 556–557 (online [PDF]).
  4. Paul Cohen: Set Theory and the Continuum Hypothesis. Benjamin, New York 1963.
  5. Eine längere Übersicht an „Pro und Kontra“ findet man u. a. in Horst Herrlich: Axiom of Choice. Springer Lecture Notes in Mathematics 1876, Springer Verlag, Berlin/Heidelberg 2006, S. 43–141.
  6. Solovay: A model of set-theory in which every set of reals is Lebesgue measurable. In: Annals of Mathematics. Series 2, Band 92. 1970, S. 1–56.
  7. We have seen that in every major theory of physics, challenging mathematical questions arise from the assumption that spacetime is a continuum. zitiert in John Baez: Struggles with the Continuum, 2020, arxiv:1609.01421, S. 35.
  8. Janus-faced nature zitiert in Horst Herrlich: Axiom of Choice. Springer Lecture Notes in Mathematics 1876, Springer Verlag, Berlin/Heidelberg 2006, S. 137.
  9. siehe Leonard Gillman: Two classical surprises concerning the axiom of choice and the continuum hypothesis. American Mathematical Monthly, Band 109, 2002, S. 544, pdf
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