Rustizierung (Architektur)
Rustizierung meint im Bauwesen bei Quadersteinen und im engeren Sinne das Stehenlassen einer unbearbeiteten Bosse als Ansichtsfläche. In der Regel handelt es sich um eine mit Absicht hergestellte rauhe Oberfläche, um so den Eindruck von „bäurischer“ Grobheit zu erzielen.[1] Rustika (fem.) oder Rustikamauerwerk (neutr.) als Synonyme bezeichnen ein Sichtmauerwerk mit kunstvoll rauher Oberfläche.

Wortherkunft
Das Wort rustizieren bzw. rustifizieren leitet sich ab von rustikal (lateinisch opus rusticum „bäuerliches Werk“[2]) und bedeutet „mit einer Rustika-Oberfläche versehen“.[3]
Übersetzungen:
Sprache | Wortformen | ||
---|---|---|---|
Deutsch | Rustika | rustizieren (rustifizieren) | Bandrustika (Bänderrustika) |
Englisch | rustication | to rusticate | banded rustication |
Französisch | le bugnato | ||
Italienisch | il bugnato rustico | il bugnato liscio | |
Spanisch | el almohadillado | almohadillar | |
Unterscheidungen
Rustizierung
Im weiteren Sinne meint Rustizierung (Rustika) jede Art einer mehr oder weniger stark reliefierte Sichtmauerwerk-Oberfläche, egal ob sie steinmetzmäßig aus Naturstein oder imitiert als gezogender Quaderputz ausgeführt wurde.
Die Übergänge zum Bossenwerk und zum Buckelquadermauerwerk sind fließend.
Bandrustika
Wenn die Rustika keine Stoßfugen aufweist oder nur auf schmale Bänder beschränkt ist, spricht man von einer Bandrustika oder Bänderung.
Plattenrustika
Die Plattenrustika oder Steinschnittquaderung zeigt keine rauhe Oberflächen des Mauerwerks, sondern eine stark reliefiertes Mauerwerk mit mehr oder weniger glatten Quaderfronten (Spiegelquader) und tiefen Fugen.
Diese Variante ist verwandt mit Wandverkleidungen durch Marmorplatten (Inkrustation), wie sie aus Antike und Protorenaissance überliefert sind. Auch moderne Natursteinfassaden können als Plattenrustika ausgeführt werden.[4] Eine besonders kunstvolle Form der Plattenrustika ist die Diamantquaderung.
Eckrustizierung
Bei der Eckrustizierung beschränkt sich die Rustizierung auf die Ecken eines Gebäudes. Sie besteht in seltenen Fällen aus Werksteinen. Häufiger werden die Ecken mit Putzprofilen in die gewünschte Form gebracht oder Mal- bzw. Sgraffito-Techniken verwendet.[5]
- Bildbeispiele
- Rustika am Palazzo Vecchio, Florenz
- Rustika am Besucherzentrum des Heidelberger Schlosses (errichtet 2010–2011, Architekt Max Dudler[6])
- Bandrustika, 1899 (Palais Hoyos-Sprinzenstein, Hoyosgasse 5–7, Wien)
- Plattenrustika (Palazzo Spannocchi, Siena)
- Plattenrustika, hier als Zierform, die sich nicht an die Quaderabmessungen hält (Friedrichsbau des Heidelberger Schlosses, 1601–1607)
- Eckrustika an den Risalit-Kanten, 1835–1838 (Palais Toerring-Jettenbach, Maximilianstraße 2, München)
Geschichte und Verwendung
Rustiziertes Mauerwerk kam in der Antike bereits an hellenistischen Stadtmauern vor und war besonders in florentiner Palastbau seit dem 13. Jahrhundert verbreitet,[7] hat sich dann bis in die Barockarchitektur erhalten und wurde teilweise auch im Verputz nachgeahmt. Rustizierungen wurden im Historismus des 19. und 20. Jahrhunderts bei Fassaden von Repräsentationsbauten wiederaufgenommen.
Rustizierung wurde in den Fassaden vor allem für die Erdgeschosse und zur Verstärkung der Ecken verwendet.[2] Die Rustika konnte sich aber auch auf die ganze Fassade, auf einzelne Stockwerke oder auf einzelne Bauglieder einer Fassade (Lisenen, Ecklisenen, Pilaster, Blendsäulen, Fenster- und Türrahmungen) erstrecken. Außer Fassaden und Fassadenelementen wurden auch freie Bauglieder wie z. B. Pfeiler und Säulen rustiziert.
- Bildbeispiele
- Bandrustika im Erdgeschoss, rustizierte Ecklisene im ersten Stock. Steyr, Haus Sierninger Straße 82
- Bandrustika-Pilaster im Erdgeschoss. Coburg, Haus Friedrich-Rückert-Straße 53
- Rustizierte Fassade und Obelisken. Große Grotte im Hortus Palatinus des Heidelberger Schlosses
- Rustiziertes Erdgeschoss. Stuttgart, Villa Berg
- Rustizierte Fensterrahmungen und rustizierte Eckquaderungen am Mittelrisalit. Meiningen, Schloss Elisabethenburg
Literatur
- Hans Koepf, Günther Binding: Bildwörterbuch der Architektur. Mit englischem, französischem, italienischem und spanischem Fachglossar (= Kröners Taschenausgabe. Bd. 194). 4., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2005, ISBN 3-520-19404-X (Digitalisat auf moodle.unifr.ch, abgerufen am 9. Januar 2024), S. 398: Rustika.
- Lexikon der Kunst, Bd. 4: R–Stadt, E. A. Seemann Verlag, Leipzig 1994, S. 315: Rustika.
Weblinks
- Zur Plattenrustika, auf projekte.kunstgeschichte.uni-muenchen.de
Einzelnachweise
- Hans Koepf, Günther Binding: Bildwörterbuch der Architektur. Mit englischem, französischem, italienischem und spanischem Fachglossar (= Kröners Taschenausgabe. Bd. 194). 4., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2005, ISBN 3-520-19404-X (Digitalisat auf moodle.unifr.ch, abgerufen am 9. Januar 2024), S. 398: Rustika.
- Lexikon der Kunst, Bd. 4: R–Stadt, E. A. Seemann Verlag, Leipzig 1994, S. 315: Rustika.
- In allgemeinen Wörterbüchern, Lexika und Enzyklopädien und in Kunstnachschlagewerken wird das Stichwort Rustika von Fall zu Fall erklärt, die Begriffe Rustizierung und rustiziert (im architektonischen Sinn) werden jedoch nicht berücksichtigt. Das Gleiche trifft für Bandrustika und Bänderrustika zu. Die hier gegebene Darstellung bezieht sich auf den üblichen Gebrauch der Begriffe in der kunsthistorischen Literatur. Im Lexikon der Kunst, siehe unter Literatur, wird unter dem Stichwort Rustika das Wort rustiziert im Zusammenhang verwendet, aber nicht definiert.
- Teils wörtlich übernommen aus dem Abschnitt Plattenrustika, auf projekte.kunstgeschichte.uni-muenchen.de, abgerufen am 9. Januar 2024.
- Helmut Gebhard: Bauernhäuser in Bayern. Hugendubel, München 1999, ISBN 978-3-89631-369-0, S. 380.
- Das Besucherzentrum. In: schloss-heidelberg.de. Abgerufen am 16. Januar 2024.
- Anja Eckert: Das Bossenmauerwerk der Florentiner Stadtpaläste. In: Burgen und Schlösser, Heft 3/2002, S. 151–161. Online auf journals.ub.uni-heidelberg.de, abgerufen am 10. Januar 2024.