Hans Gustav Joachim
Hans Gustav Joachim (* 9. Februar 1917 in Königsberg, Preußen; † 3. Oktober 1989) war ein deutscher Jurist. Er war von 1959 bis 1962 Richter am Bundesarbeitsgericht, von 1962 bis 1979 Präsident des Hessischen Landesarbeitsgerichtes und gehörte 1968 zu den Gründern der juristishen Fachzeitschrift Kritische Justiz. 1979 ging er in den vorzeitigen Ruhestand, nachdem 1978 erstmals nationalsozialistische Auffassungen aus seiner Dissertation von 1939 in der Öffentlichkeit bekannt wurden.
Leben
Ausbildung und Laufbahn
Hans Gustav Joachim wurde als Sohn des Professors und leitenden Arztes der inneren Station am Krankenhaus der Barmherzigkeit zu Königsberg und außerordentlichen Professor an der Universität zu Königsberg,[1] Johannes Gerhard Joachim und dessen Ehefrau Anna Maria Lotte geb. Scherwitz[2] in Königsberg (Preußen) geboren, wo er auch auf dem Friedrichskolleg die Reifeprüfung ablegte. Anschließend studierte er in Königsberg, Würzburg und München Rechtswissenschaften.[3] In Königsberg wurde er 1939 über „die europäische Völkergemeinschaft“ zum Dr. jur. promoviert.
Nach seiner Militärdienstzeit während des Zweiten Weltkriegs, Flucht und Referendariat,[4] erhielt Joachim 1950 mit dem Rang eines Regierungsrats seine Ernennung zum Direktor des Arbeitsamtes Limburg, von wo er 1951 und unter Ernennung zum Oberregierungsrat in gleicher Stellung an das Arbeitsamt Hanau wechselte. 1954 folgte seine Versetzung als Landesarbeitsgerichtsdirektor an das Hessische Landesarbeitsgericht in Frankfurt am Main. 1946 trat er in die SPD ein.[3]
Von 1959 bis 1962 war er Richter am Bundesarbeitsgericht in Kassel. Anschließend von 1962 bis 1979 Präsident des Hessischen Landesarbeitsgerichtes.[5] Ab 1962 lehrte er beim Seminar für Arbeits- und Sozialrecht und an der Europäischen Akademie der Arbeit in der Universität Frankfurt am Main. Von 1963 bis 1977 war er zudem Richter des Staatsgerichtshofes des Landes Hessen. Aufgrund der Kontroverse um die nationalsozialistischen Auffassungen in seiner 1939 verfasten Dissertation trat er auf eigenen Wunsch in den vorzeitigen Ruhestand.[4]
Joachim gründete 1968 mit Generalstaatsanwalt Fritz Bauer und Rechtsreferendar Jan Gehlsen unter dem Eindruck Neuer Sozialer Bewegungen die juristische Zeitschrift Kritische Justiz, die unter anderem einen Schwerpunkt in der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit der Justiz und Rechtswissenschaft hatte. Gehlsen, Student in Frankfurt am Main, hatte Joachim und Bauer damals mit der Gründungsidee angesprochen und stieß auf Erfolg.[6]
Joachim war Ehrenmitglied des Deutschen Arbeitsgerichtsverbandes.
Wirken und Nationalsozialismus
Während seiner Studienzeit beantragte Joachim am 10. Juni 1937 die Aufnahme in die NSDAP und wurde rückwirkend zum 1. Mai desselben Jahres aufgenommen (Mitgliedsnummer 5.285.442).[7] Weitere Mitgliedschaften in NS-Organisationen konnte Borowsky, der seit 2020 die NS-Vergangenheit ehemaliger Richter des Bundesarbeitsgerichts erforscht, nicht feststellen.
Im Jahr 1978 brachte das Nachrichtenmagazin Der Spiegel Auszüge aus Joachims 1939 abgeschlossenen Dissertation von 1939 an die Öffentlichkeit:
„Wo dieser größte biologisch nachweisbare Rassenkreis endet, dort endet auch die Möglichkeit einer Gemeinschaft. Das trifft genau so wie für Neger auch für Juden zu. Und wer aus Gründen seiner Rasse nicht von der deutschen Volksgemeinschaft erfaßt wird, gehört auch nicht zur Gemeinschaft der Völker. Diese ‚Gemeinschaftsfreien‘ sind notwendigerweise Fremdkörper, die, wie jeder gesunde Organismus das Bestreben und die Kraft hat, Fremdkörper auszuscheiden und abzustoßen, auch aus der Gemeinschaft der Völker auszustoßen sind und ausgestoßen werden.“
Zudem zitierte Joachim Adolf Hitler und Alfred Rosenberg in der Dissertation. In Folge der Enthüllung wurden Forderungen laut, von seinem damaligen Amt als Landesarbeitsgerichtspräsident zurückzutreten. Daraufhin sagte er 1978, er habe „die pazifistische Grundhaltung“ seiner Doktorarbeit „durch einige NS-Zitate zu kaschieren“ versucht.[9] Er bezeichnete sich selbst als „Gegner des NS-Regimes“.[10] Borowsky, der Joachim aufgrund der nationalsozialistisch geprägten Dissertation als „schwer belastet“ einstuft, der nicht in den westdeutschen Justizdienst hätte gelangen dürfen[11], attestiert Joachim abschließend, dass bei ihm ein Sinneswandel festzustellen und die seinerzeit 40 Jahre alte Dissertation skandalisiert worden sei.[12]
Familie
Von 1943 bis 1979 war Hans G. Joachim in erster Ehe mit Brigitte Ohm verheiratet,[5] mit der er einen Sohn (mit 4 Monaten in Dänemark gestorben) und zwei Töchter hatte. Seit 1982 war er mit Gisela Palka vermählt. Joachim lebte zuletzt in Dreieich-Buchschlag[5]
Veröffentlichungen (Auswahl)
- Die europäische Völkergemeinschaft Dissertation, Gräfe und Unzer, Königsberg 1939.
- mit Lothar Ostheimer und Dietrich Wiegand: Der ehrenamtliche Richter beim Arbeits- und Sozialgericht – Rechte und Pflichten von der Berufung bis zur Beendigung des Ehrenamtes. Haufe, Freiberg im Breisgau 1989, ISBN 978-3-448-02073-1 (7. Auflage)
- mit Gerhard Etzel: BetrVG von A–Z – Entscheidungssammlung nach Stichwörtern für die Praxis, Luchterhand, Neuwied / Darmstadt 1981, ISBN 978-3-472-15002-2 (2. Auflage)
Einzelnachweise
- JOACHIM, Gerhard, Dr. med. in: Wer ist's, Band X (1935), S. 761.
- Ancestry.com Landesarchiv, Berlin, Standesamt Königsberg i. Pr. I, Heiratsurkunden, Urkunde Nr. 245 vom 11. April 1916, Heirat des Professor Doktor der Medizin, Stabsarzt der Reserve, Johannes Gerhard Joachim (geboren am 11. Juni 1880 in Ludwigswald, Kreis Königsberg) mit der Anna Maria Lotte Scherwitz (geboren am 23. September 1896 in Königsberg), auf ancestry.com, abgerufen am 5. Januar 2024.
- JOACHIM, Hans G. in: Wer ist wer?, Band XVII (1971/73), S. 600 ISSN 0172-911X
- Dr. Hans G. Joachim. * 9.2.1917 – † 3.10.1989 (Nachruf) Otto Ernst Kempen, in: Mitteilungen. Neue Folge 40, Hrsg. Akademie der Arbeit in der Universität Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 1990, S. 1 f (Anm.: nach der Quelle trat er “1970” auf eigenen Wunsch in den vorzeitigen Ruhestand) digital
- JOACHIM, Hans G. in: Wer ist wer?, Band XXVII (1988/89), Schmidt-Römhild, Lübeck 1988, ISBN 3-7950-2008-5, S. 637
- Rainer Erd: Zur Gründungsgeschichte der KJ. In: jstor.org. Kritische Justiz 1999, abgerufen am 3. August 2023.
- Bundesarchiv R 9361-IX KARTEI/18321484
- Martin Borowsky: Die NS-Belastung des Bundesarbeitsgerichts – vorläufige Bilanz zur personellen Kontinuität. (PDF) In: www.nomos-elibrary.de. Kritische Justiz 2022, S. 404, abgerufen am 3. August 2023.
- Joachim Perels: Zum Gedenken an Hans G. Joachim 1917-1989. (PDF) In: www.nomos-elibrary.de. Kritische Justiz 1989, S. 482, abgerufen am 3. August 2023.
- Aktiver NS-Gegner? Spiegel, 30. April 1979, abgerufen am 3. August 2023.
- Martin Borowsky, 'Die NS-Belastung des Bundesarbeitsgerichts – vorläufige Bilanz zur personellen Kontinuität In Kritiche Justiz, 2022, 399-411; 404
- Martin Borowsky, 'Die NS-Belastung des Bundesarbeitsgerichts – vorläufige Bilanz zur personellen Kontinuität In Kritiche Justiz, 2022, 399-411; 411