Julia Pirotte
Julia Pirotte (* 26. August 1907 in Końskowola; † 25. Juli 2000 in Warschau) war eine polnische Fotografin und Fotojournalistin, die vor allem für ihre Dokumentation der Résistance in Marseille während des Zweiten Weltkrieges und für das fotografische Festhalten der Nachwirkungen des Pogroms von Kielce 1946 bekannt war.
Biografie

Julia Pirotte wurde 1907 als Julia Diamant in der polnischen Kleinstadt Końskowola in eine arme jüdische Familie geboren.[1] Als das zweite von drei Kindern wuchs sie mit dem älteren Bruder Marek (geb. 1905) und der jüngeren Schwester Mindla (geb. 1911) auf. Ihre Eltern, Baruch Diament und Sura Szejnfeld, waren Bergleute. Mutter Sura starb bereits 1916, woraufhin Baruch Diament erneut heiratete und sich die Familie in Warschau niederließ. Dort eröffnete er ein Lebensmittelgeschäft.
Bereits in jungen Jahren engagierte sich die damalige Teenagerin mit ihren Geschwistern politisch und sie traten im autoritär regierten Polen der Polnisch Kommunistischen Partei (KPP) bei, was schlussendlich zu einer Inhaftierung Pirottes mit 17 Jahren führte. Marek entging der Haft, indem er Zuflucht in der UdSSR bzw. in Moskau fand. Julia musste eine Haftstrafe von vier Jahren absolvieren.
1934 drohte der Aktivistin erneut ein Aufenthalt im Gefängnis und sie floh nach Brüssel. Dort lernte sie den Aktivisten Jean Pirotte kennen und heiratete diesen 1935. Im Jahr 1936 beteiligte sich Pirotte an der Organisation von Demonstrationen sowie Streiks polnischer Bergarbeiter in der Region Charleroi und schrieb Artikel sowohl für die Zeitschrift Femme als auch die kommunistische Tageszeitung Le Drapeau rouge über die schlechten Arbeitsbedingungen und Lebensumstände der Arbeiter. Dadurch wurde die spätere Résistance-Kämpferin Suzanne Spaak auf sie aufmerksam, die der Journalistin zur Fotografie riet und ihr ihre erste Kamera schenkte.[2] Später besuchte Pirotte einen Fotografiekurs. 1939 berichtete sie für die Agentur Foto Waro über die Baltischen Staaten.[3]
Als Belgien 1940 von den Nationalsozialisten überfallen wurde, schloss sich Julia Pirotte dem Exodus an und zog nach Marseille. Auch in Frankreich engagierte sie sich weiterhin politisch und trat, wie ihre Schwester Mindla, der Résistance bei. Arbeit fand sie als Pressefotografin für die Zeitung Dimanche Illustré und die neu gegründete La Marseillaise. Im Untergrund war sie für die französische Widerstandsbewegung FTP-MOI tätig. Dort arbeitete sie als Verbindungsagentin, produzierte gefälschte Papiere und fungierte als Kurierin für Waffen und heimlicher Presse. Ihre Schwester wurde 1944 vom regierenden Vichy-Regime gefoltert und exekutiert. Auch ihr Bruder starb durch die Gewalt der Angriffsmächte in einem sowjetischen Gulag.[4] Unter oft gefährlichen und riskanten Bedingungen dokumentierte die Widerständlerin den von Missständen durchzogenen Alltag der Menschen in Marseille fotografisch. Auch der Aufstand der Stadt 1944, der mit der Befreiung endete, sowie die dortige Ankunft der Alliierten wurden Teil ihrer fotografischen Arbeit. Diese Bilder sind bis heute für die historische Dokumentation des Zweiten Weltkriegs äußerst wertvoll und fanden in zeitgenössischen Zeitungen vielfache Verwendung.[4]
Nach dem Krieg bekam die Widerstandskämpferin das Croix de guerre für besondere Handlungen während des Zweiten Weltkriegs verliehen. Pirotte setzte ihre fotografische Arbeit 1946 fort, als sie zurück in ihr Heimatland Polen ging. Als Fotojournalistin fotografierte sie für die Zeitung Trybuna Wolności und die Militärzeitschrift Żołniers Polski. Der Chefredakteur von letzterer beauftragte sie mit der Dokumentation des Pogroms von Kielce, welches noch am Tag des Auftrages nicht zu Ende war. Vom 4. auf den 5. Juli 1946 fuhr Julia Pirotte mit dem Nachtzug von Warschau nach Kielce. In Begleitung eines Offiziers erstellte sie Aufnahmen der getöteten und geschändeten Opfer, wobei sie auch Krankenhäuser besuchte und an einem Trauerzug teilnahm. Sie gilt als einzige Fotografin, die diese Ereignisse festhielt. Pirotte gründete außerdem die Presse-Agentur WAF, in der sie Fotografen ausbildete.
1948 nahm sie am Weltkongress der Intellektuellen für den Frieden in Wrocław (Breslau) teil, wo sie unter anderem Porträts von Pablo Picasso, Irène Joliot-Curie und Dominique Desanti anfertigte. 1957 reiste sie nach Israel, um das Leben in einem Kibbuz zu erfahren. Da Julia Pirottes Ehemann schon länger verstorben war, heiratete sie 1958 den polnischen Wirtschaftswissenschaftler Jefim Sokolski. Dieser starb 1974. Als Journalistin arbeitete sie noch bis 1968. In den 1980er Jahren fing ihre Fotografie an an Popularität zu gewinnen. Aufmerksamkeit erhielt sie u. a. 1980 durch die Präsentation ihrer fotografischen Werke aus Marseille bei der Ausstellung Rencontres de la Photographie d’ Arles. In den kommenden Jahren folgten noch weitere Ausstellungen u. a. in New York, Stockholm, Charleroi etc. 1989 spendete sie ihre gesamte Arbeit dem Museum der Fotografie in Charleroi. 1996 erhielt sie den Orden der Künste und Literatur vom Französischen Kultusministerium verliehen.[3] Am 25. Juli 2000 verstarb Julia Pirotte im Alter von 93 Jahren und liegt auf dem Powązki-Friedhof in Warschau begraben.
Das Leben als Fotografin
Julia Pirottes Zugang zur Fotografie entstand erst über Umwege. Nach vielen Jahren des politischem Aktivismus, wird die Résistance-Kämpferin Suzanne Spaak auf Pirottes journalistische Arbeit aufmerksam und empfiehlt ihr die Verwendung einer Kamera. Als Fotojournalistin nutzt Pirotte diese oft als dokumentarisches Werkzeug für Aufklärung, sowie für die Verbindung von Leser und Ereignis. Den Höhepunkt entsprechend entstandener Werke kennzeichnet ihre Zeit während des Zweiten Weltkriegs in Marseille, wo sie das Leben der Bewohner und die Stadt unter den Bedingungen des Vichy-Regimes festhält und die erkämpfte Befreiung der Stadt dokumentiert. Aus der Perspektive der Teilnehmerin positionieren sich ihre Fotografien als Berührungspunkt zwischen Betrachter und Protagonist, wobei der Eindruck großer Natürlichkeit mitschwingt. Die investigativen Aufnahmen der Auswirkungen des Pogroms von Kielce stellen lebensnahe Beiträge zu den blutigen Nachwirkungen des Krieges dar. Des Weiteren entstehen auch viele Portraitaufnahmen, die von Menschen erstellt wurden die ihren Weg kreuzten, aber ebenso Abbildungen von bekannten Künstlern wie z. B. Pablo Picasso.

Fotografin des Widerstands
In Marseille entsteht nicht nur Julia Pirottes letztes Porträt ihrer Schwester Mindla Diament, sondern auch eine große dokumentarische Arbeit des Zustandes von Marseille und ihren Bewohnern während des Zweiten Weltkriegs. Sie erstellt Porträts von Straßenkindern, Werke von Familien aus dem Bompard Internierungslager, Bilder der Nachbarschaft der Arbeiterklasse, hält die kämpferische Mentalität der Menschen während und vor dem Aufstand 1944 fest und dokumentiert den Schaden, den das Vichy-Regime bzw. die Nazis an der Stadt und Menschen anrichteten.
Auffallend bei den Werken aus dieser Zeit ist, dass sie einen hohen Echtheitsgehalt aufweisen. Viele Fotografien scheinen aus dem Leben gegriffen. Personen schauen oft nicht in die Kamera und erwecken den Anschein sich auch nicht beobachtet zu fühlen. Bewegungsunschärfe, Angeschnittene Winkel und die Normalperspektive sind markante Elemente ihrer „Straßenfotografie“. Die Werke erhalten die Wirkung stark kalkulierter Schnappschüsse, die dadurch ihrer Aufgabe, den Menschen unter den entsprechenden Umständen zu dokumentieren, gerecht werden. Selbst die Porträtaufnahmen wirken wenig „gekünstelt“ und scheinen spontan entstanden zu sein. Die dargestellten Subjekte sind in einfachen Posen und natürlichen Gesichtsausdrücken abgelichtet und wirken dabei gelassen. Eine insgesamt sehr natürliche Wirkung wird durch die Bilder entfaltet was vor allem der beinhalteten Flüchtigkeit des Moments zu verschulden ist. Werkbeispiele sind Folgende:
Werke des Aufstandes von Marseille 1944 und deren Nachwirken
Pressefotografie ist ein Mittel, das u. a. dafür verwendet wird, um Aufmerksamkeit auf ein Thema zu ziehen und dabei zwei Welten zu verbinden.[8] Die Welt jener, die das historische Ereignis erleben und die derer, die darüber erfahren. Dabei spielt die Fotografie eine große Rolle, was die Rezeptionsbildung des Ereignisses beim Leser betrifft. Julia Pirottes Bilder fungieren in diesem Kontext als Verbindungsglied zwischen der Darstellung des Aufstandes und dem Leser. Die Fotografien repräsentieren den Blickwinkel einer unmittelbar involvierten Person, die aus der Sicht der Unterdrückten spricht und somit die Ereignisse erlebbar und greifbar gestaltet. Ihr progressives Weltbild erlaubt auch Akzente in Stereotypdiskussionen, hinsichtlich Geschlechter zu setzen.
Als 1944 der Sturm auf die Normandie die Rückeroberung des besetzten Frankreichs einleitete, dauerte es nicht mehr lange, bis auch an weiteren Stellen allmählich die Nazis zurückgedrängt wurden. Am 15. August 1944 startete die Operation Dragoon, wobei die Résistance durch Sabotagearbeiten einen wichtigen Beitrag dazu leistete.[9] Die Landung alliierter Truppen an der Côte d’Azur sollte die Nationalsozialisten in der Provence zurückdrängen. Der Aufstand von Marseille war dabei eine große Hilfe, denn die Stadt galt als wichtiger Versorgungspunkt während der Operation. Innerhalb stellten sich Aufständische den deutschen Truppen entgegen und außerhalb umzingelten Alliierte die Stadt. Am 29. August waren die Nazis vertrieben.
In der fotografischen Arbeit von Julia Pirotte, wurde die Befreiung eher als ein Akt lokaler Helden porträtiert, die unabhängig der Hilfe der Kräfte der Alliierten zu den Waffen griffen und die Befreiung ihrer Stadt einleiteten. Dabei verbinden die Bilder den Betrachter mit den Protagonisten ihrer Werke auf eine natürliche Art und Weise. Ein Beispiel eines ihrer einschlägigen Werke ist auf der Titelseite einer Ausgabe des La Marseillaise vom 25. August in einer Reihe von drei Fotografien abgebildet. Der Titel lautet „La prise de la préfecture de Marseille“, (De: Die Erstürmung er Präfektur von Marseille).[8] Darauf zu sehen sind (von Links nach Rechts) zwei Männer, die in einer Straße in der Stadt unterwegs sind und Gewehre halten. Sie sind einfach gekleidet und gucken sowohl ernst als auch motiviert zum Betrachter. Dieser ist in einer etwas erhöhten Perspektive positioniert. Wie von einer Eingangstür, die erst durch ein paar Stufen erreichbar ist, blickt er auf die Szenerie. Festgehalten mit Bewegungsunschärfe und im scharfen Winkel, wirkt das Werk, als sei es im vorbeigehen entstanden. Wie ein flüchtiger Blick eines vorbeigehenden bzw. aus der Tür tretenden Passanten. Dadurch entsteht ein Effekt der Teilhabe und Realismus.[10] Dies wird im Mittleren Bild fortgeführt. Zu sehen ist eine Ansammlung jubelnder Männer, die dem Betrachter entgegen gerichtet sind und diesen angucken. Hiervon sind zwei, einer in der rechten, der andere in der linken Ecke des Bildes zu erkennen. Sie strecken die Französische Flagge empor, welche sich wie ein Segel waagrecht über die Gruppe hebt. Auch diese Fotografie ist gekennzeichnet durch Bewegungsunschärfe und Normalperspektive.[11] Das letzte in der Reihe zeigt vier Männer, die Munition aus einem Lkw heben, und gleich wie bei den ersten beiden Exemplaren, in Richtung des Betrachters durch leichte Unschärfe schauen.
Betrachtet man die Bilder von links nach rechts chronologisch, so wird eine Geschichte erzählt vom Angriff, der Eroberung und der Vorbereitung auf den nächsten Kampf. Dies wird auch durch die Titelgebung (Links nach Rechts): 1. Ein FTP bewaffnet mit einem vom Feind eroberten Maschinengewehr, 2. Die Patrioten zeigen ihre Freude nach der Eroberung der Präfektur und 3. Von den FTP den Deutschen entrissen, unterstützt. Alle Werke zusammen zeigen eine Stadt mit Einwohnern, die für ihre Heimat kämpfen und dabei Erfolge erzielen. Durch den Eindruck des vorbeigehenden Passanten bekommen diese Geschehnisse mehr Glaubwürdigkeit und Natürlichkeit.
Da im vorigen Beispiel keine Frauen zu sehen waren, wirkt diese Darstellung der Befreiungsaktion doch recht maskulin. Diese Präsentation wird allerdings durch Fotografien und Artikel, die die weibliche Seite des Aufstandes betreffen, aus anderen Ausgaben kompensiert. Ein Beispiel sind zwei Fotografien aus einer Ausgabe des Rouges-Midi vom 3. September, die von einem Artikel begleitet werden, der ebenfalls der Fotografin zuzuschreiben ist. Dieser trägt den Titel „Die Rolle der Frauen bei der Schlacht“ und thematisiert, wie der Titel schon besagt, die Aufgaben und Bedeutung des weiblichen Geschlechts in diesem Ausnahmezustand. Sie hebt dabei besonders hervor, dass die Hilfeleistenden neben den traditionell weiblich zu verordnenden Tätigkeiten, wie Versorgung und Kinderbetreuung, auch Waffentransport und Fälschung von Dokumenten übernahmen und dabei genauso ein hohes Risiko und Leistung erbringen würden wie die männliche Seite.[8] Die erste Fotografie ist auf der Titelseite zu finden und zeigt eine Frau mit Blechhelm, die eine Flagge mit rotem Kreuz zu halten scheint. Sie führt eine Gruppe von einfach gekleideten, teilweise auch Militärhelm tragende, Männer und Frauen an, die im Begriff sind, einen verwundeten Freiwilligen in Sicherheit zu bringen. Sie bewegen sich auf den Betrachter zu, der aus einem kippenden Winkel auf das Geschehen blickt. Die Szenerie erinnert stark an Delacroixs Die Freiheit führt das Volk.[12] Die Intention ist demnach naheliegend die starke und wichtige Rolle der Frauen hervorzuheben. Unterstützend wirkt die Präsentation der Frau in Blechhelm in einer eher männlich konnotierten Rolle. In regressiven Kontrast zur Titelseite, zeigt die Fotografie auf der vierten Seite die neben Pirottes Artikel positioniert wurde, Frauen die Kleidung an Kinder übergeben.[8] Im Zusammenspiel wird hier jedoch stark untermalt, wie wichtig Frauen für diese Schlacht waren, da sie wichtige Unterstützung in vielen und relevanten Bereichen darboten.
Das Narrativ der Befreiung durch einfache, lokale Leute überdauerte den Krieg. Marseille wurde zum Sinnbild der französischen Rolle während des Zweiten Weltkriegs. Deutlich wurde dies u. a. durch die französische Zeitschrift Combattre, die ein Jahr nach der Befreiung, eine Ausgabe mit gleichnamigen Titel (Die Befreiung von Marseille) veröffentlichte. Dort stammten alle 42 der vorhandenen Fotografien von Julia Pirotte. Die Zielgruppe waren ehemalige, politisch aktive Widerstandskämpfer. Die Bilder sind ganz im Stil der vorig genannten Beispiele vorhanden, wobei Marseille und dessen Einwohner äußerst lebendig präsentiert wurden. Dargestellt in einem Zuhause, in dem zwar eine Unterbrechung des Lebens stattfand, aber diese nicht den Untergang bedeutete. Das steht gerade im Kontrast zu britischen und amerikanischen Filmen, die v. a. die vom Krieg verwahrlosten Landschaften des einst besiegten Landes zeigen.[8] Vermutlich ein willkommeneres Motiv für die Bevölkerung Frankreich, als das einer tragisch untergegangenen Nation.
Anfang der 1980er Jahren begann Julia Pirotte ihre Werk auszustellen, wodurch ein größeres Publikum auf ihre Fotografien aufmerksam wurde. Ein wirklich durchschlagendes Interesse entstand allerdings ab Mitte der neunziger Jahre, als sich der Jahrestag der Befreiung zum fünfzigsten Mal wiederholte. Mit dem Ende des Kommunismus in Osteuropa und dem aufkommen neuer Generationen entstand ein größeres Interesse, was den historischen Hintergrund des Zweiten Weltkrieges betraf. Viele Kuratorinnen und Kuratoren fingen die entstandenen Aufnahmen auf und präsentierten sie in Erinnerungs- bzw. Lernorientierten Ausstellungen. Große Internationale Bekanntheit erlangte Pirotte durch die Ausstellung Eine Fotografin aus dem Widerstand im Museum der Fotografie in Charleroi. Hierbei wurde eine Retroperspektive ihrer Werke erstellt. Pirottes jüdischer Hintergrund, sowie ihre kämpferisch durchzogene Biografie halfen beim Interessengewinn sowie der Popularisierung.[8] Auch in den Jahren danach, fanden ihre Werke häufige Verwendung und das Interesse an ihrer Person blieb entsprechend hoch.
Demnach geht Julia Pirotte als eine äußerst aktivistische Fotografin in die Geschichte ein, die mit ihren Werken und ihrer Person vor Ort dabei war und in einer Krisensituation sowohl mithalf als auch mitkämpfte. Ihre Bilder weißen dabei einen hohen Echtheitsgehalt auf, der die Veranschaulichung der gezeigten Ereignisse immersiv unterstreicht. In der Presse sorgen ihre Fotografien und Artikel für entscheidende Aussagen und dies nicht nur zeitgenössisch, sondern auch Jahre später.
Fotografische Aufklärung der Auswirkungen des Pogroms von Kielce
Julia Pirotte war eine Fotografin die oft, unter der Gefährdung ihrer eigenen Sicherheit Aufnahmen zur Hilfe von Aufklärung erstellte. Gerade einmal zwei Jahre nach der Befreiung von Marseille und ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkriegs, bekam sie von ihrem Chefredakteur der Militärzeitschrift Żołniers Polski, den Auftrag sich nach Kielce zu begeben. Sie fuhr in der Nacht vom 4. auf den 5. Juli in die Provinzstadt. Gerade ein paar Stunden zuvor fand in dem immer noch von Antisemitismus zerfressenen Ort eines der blutigsten Pogrome nach Ende des Zweiten Weltkrieges statt. Über 40 Jüdinnen und Juden mussten in gewalttätigen Auseinandersetzungen ihr Leben lassen und viele wurden verletzt.[13] Sich dort zu diesem Zeitpunkt als Jüdin aufzuhalten, war demnach noch nicht sicher. In Zügen, die nach bzw. durch die polnische Kleinstadt fuhren konnte es passieren, das judenfeindliche Schaffner bzw. Passanten versuchten Menschen auszumachen, die zu entsprechender Minderheit gehörten und diese verletzten und/oder töteten. Die Fotojournalisten musste demnach von einem Offizier begleitet werden. Julia Pirotte gilt als einzige Fotografin, die unmittelbar nach den geschehenen Ereignissen vor Ort war. Sie erstellte 42 Aufnahmen der massakrierten und geschändeten Opfer, besuchte Verletzte im Krankenhaus und begleitete den Trauerzug.[1] Allerdings wurde ein Großteil ihrer Negative von der Staatssicherheit konfisziert, wodurch sie gezwungen war, diese durch Probeabzüge zu rekonstruieren und es somit nur ein paar der Aufnahmen in die Presse schafften.[1] Die vorhandenen Werke erweisen erneut eine hohe Natürlichkeit auf. Die Aufnahmen aus dem Krankenhaus sind größtenteils aus der Normalperspektive geschossen. Bei Bildern wie Ein Jüdischer Mann, der im Kielce Pogrom verletzt wurde liegt in einem Krankenhaus Bett, Kielce, 06.07.1946. bekommt der Betrachter das Gefühl, sich selbst über den Verletzten zu beugen und den Anblick in sich aufzunehmen. Die Patienten haben meist die Augen geschlossen bzw. liegen schlafend. Dies erleichtert den Zugang zum Motiv, da sich der Betrachter nicht beobachtet und unter Druck gesetzt fühlt. Er kann sich ganz auf den Verletzten und das Ausmaß von dessen Wunden fokussieren.[14] Eine Aufnahme vom Trauerzug zeigt das Geschehen aus einer etwas erhöhten Perspektive, wodurch die Menschenmenge besser sichtbar gemacht wird. Die Blicke der Menschen sind ernst und mit Trauer erfüllt, wobei ein paar in die Richtung des Betrachters schauen, was für ein Gefühl der Teilhabe sorgt. Die Augen allerdings sind durch die Unschärfe der Kamera nahezu alle geschwärzt, was zu einer erhöhten Ernsthaftigkeit und Dramaturgie der Szenerie führt.[15] Zwei Bilder von einer großen Anzahl an Särgen sind mit einem zentralen Fluchtpunk ausgestattet, der die Zahl durch die sich in den Hintergrund verkleinernden Totenschreine bewusst hervor hebt. Ein leicht kippender Winkel stellt den Blick ein und erzeugt den Effekt mit den eigenen Augen auf das Geschehen zu blicken.[16][17]
Die Aufnahmen, die es also in die Presse geschafft haben, sichern die Emotionen und die Aura des Geschehenen und sind dazu in der Lage dem Leser bzw. Betrachter das Ereignis und dessen Ausmaß bewusst zu machen.
Ausstellungen
- 1979
- Polnischer Schriftstellerverein (PL)
- Internationales Filmfestival in Moskau (UdSSR)
- 1980
- Internationales Fotografenreffen, Arles (F)
- 1981
- Stadtbibliothek von Beaune, (F)
- Museum für Photographie in Stockholm (S)
- 1982
- Museum der Schönen Künste Warschau(PL)
- Museum für Fotografie, Charleroi(B)
- 1983
- Nationalmuseum , Breslau (PL)
- Vrais Rêves Galerie, Lyon (F)
- Iinternationale Buchbibliothek, Walbrzych (PL)
- Kulturzentrum Kalisz(PL)
- 1984
- Internationales Zentrum für Fotografie(ICP) New York (U.S.A.)
- FNAC, Marseille (F)
- 1986
- Quinnipiac College Hamden (U.S.A.)
- 1989
- Universität von Hartford(U.S.A.)
- 1994
- Ein Fotograf in der Résistance – Jüdisches Museum von Belgien, Brüssel & Fonds Musée de la Photographie, Charleroi. (B)
- Buch und Ausstellung im FNAC Marseille(F)
- 1995
- Eine Fotografin in der Résistance – Espace Génériques, Paris & Fonds Museum of Photography, Charleroi (B)
- 2002
- Biennale von Lüttich & Fonds des Museums für Fotografie, Charleroi (B)
- 2023
- Julia Pirotte, Fotografin und Widerstandskämpferin – Gedenkstätte der Shoah , Paris (F)
Sammlungen
- Nationalbibliothek, Paris (F)
- Museum für Fotografie in Charleroi (B)
- Nicéphore Niépce Museum, Chalon-sur-Saône (F)
- Fotografiska Museet, Stockholm (S)
- Nationalmuseum, Kattowitz (PL)
- Kunstmuseum, Lodz (PL)
- Holocaust Museum, Washington (Vereinigte Staaten)
- Internationales Zentrum für Fotografie, New York (Vereinigte Staaten)
- Galerie des Fotografen, London (GB)
- Universitätsbibliothek Nanterre (F)
- Ministerium für Veteranenangelegenheiten, Paris (F)
- Armeemuseum, Paris (F)
- Verband der Veteranen des Widerstands, Marseille (F)
- Pariser Shoah-Gedenkstätte (F)
- Museum für Fotografie in Antwerpen (B)
- Archiv der Künstlerinnen
Literatur
- Bohus 2020: Kata Bohus, Julia Pirotte und die Dokumentation des Pogroms in Kielce, in: Kata Bohus u. a. (Hrsg.) Unser Mut – Juden in Europa 1945 – 48, Oldenbourg 2020, S. 86–89.
- Diamond 2012: H. Diamond, H.Gorrora, Reframing war: histories and memories of the Second World War in the photography of Julia Pirotte, in: Modern and Contemporary France, Bd. 20, vol. 4, S. 453-471.
- Marianne Amar 1995: Julia Pirotte, photographe de résistance, in: Marianne Amar u. a. (Hrsg.), Vingtiéme Siécle. Revue d´histoire, 48, 1995, S. 152–154.
- Thébaud 1994: Françoise Thébaud, Julia Pirotte, a photographer in the Resistance, Museum of Photography, Charleroi, 1994; Sandrine SUCHON, Resistance and Freedom. Dieulefit 1940–1944, Die, éditions A Die, 1994.
Weblinks
Einzelnachweise
- Bohus 2020: Kata Bohus, Julia Pirotte und die Dokumentation des Pogroms in Kielce, in: Kata Bohus u. a. (Hrsg.), Unser Mut – Juden in Europa 1945 – 48, Oldenbourg 2020, S. 86–89.
- Marianne Amar 1995: Julia Pirotte, photographe de résistance, in: Marianne Amar u. a. (Hrsg.), Vingtiéme Siécle. Revue d´histoire, 48, 1995, S. 152–154.
- Maria Wiśnicka, Julia Pirotte, Polen 1996, AW Film Studio/Vimeo 2012. (Abgerufen am 14.09.2023: https://vimeo.com/38499153)
- Thébaud 1994: Françoise Thébaud, Julia Pirotte, a photographer in the Resistance, Museum of Photography, Charleroi, 1994; Sandrine SUCHON, Resistance and Freedom. Dieulefit 1940–1944, Die, éditions A Die, 1994. Clio [Online], 5 | 1997, posted online on January 1, 2005. (abgerufen am 12. September, 2023. URL: http://journals.openedition.org/clio/427; DOI: https://doi.org/10.4000/clio.427)
- Mädchen in Bompard Camp. Abgerufen am 28. September 2023.
- A combattante. Abgerufen am 28. September 2023.
- L´insurrection, Marseille. Abgerufen am 28. September 2023.
- Diamond 2012: H. Diamond, H.Gorrora, Reframing war: histories and memories of the Second World War in the photography of Julia Pirotte, in: Modern and Contemporary France, Bd. 20, vol. 4, S. 453-471.
- Die Landung und die Schlacht in der Provence. In: chemins de mémoire. Ministerium für Armeen, abgerufen am 23. September 2023 (französisch).
- Ein FTP bewaffnet mit einem vom Feind eroberten Maschinengewehr. Abgerufen am 28. September 2023.
- Die Patrioten zeigen ihre Freude nach der Eroberung der Präfektur. Abgerufen am 27. September 2023.
- H. Diamond, H.Gorrora: Die Rolle der Frauen bei der Schlacht. Abgerufen am 28. September 2023.
- The Kielce Pogrom: A blood libel massacre of holocaust survivors Archived 24 November 2016 at the Wayback Machine.
- Ein Jüdischer Mann, der im Kielce Pogrom verletzt wurde liegt in einem Krankenhaus Bett, Kielce, 06.07.1946. Abgerufen am 28. September 2023.
- Trauerzug nach Pogrom in Kielce. Abgerufen am 28. September 2023.
- Eine Frau weint über die Särge von Juden, die während des Pogroms in Kielce getötet wurden. Abgerufen am 28. September 2023.
- Särge mit Leichen von beim Pogrom in Kielce getöteten Juden. Abgerufen am 28. September 2023.