Paul Alexander (Polio-Überlebender)
Paul Alexander (geboren 1946 in Dallas, Texas) ist ein US-amerikanischer Anwalt und Polio-Überlebender, der seit über 70 Jahren eine Eiserne Lunge nutzt und damit als die Person gilt, die am längsten mit einer solchen lebt.[1] In den Medien wird er auch Polio Paul oder Der Mann in der Eisernen Lunge genannt.[2][3]
Seit 2022 gilt Alexander neben Martha Lillard zudem als eine der letzten Personen, welche diese inzwischen ausgemusterte Technologie nutzen. Besondere mediale Aufmerksamkeit erhielt er, als er 2015 mittels YouTube versuchte, einen Techniker zu finden, der ihm bei der Reparatur seiner Maschine helfen könne, da keine Ersatzteile mehr hergestellt werden. Über sein Leben schrieb er das Buch Three Minutes for a Dog: My Life In an Iron Lung, das am 13. April 2020 erschien.[4][5]
Leben
Paul Alexander war sechs Jahre alt, als er 1952 an Polio erkrankte. Obwohl der Hausarzt der Familie frühzeitig die Krankheit feststellte, riet er aufgrund von Überfüllung des örtlichen Krankenhauses von einer Einlieferung ab. Alexanders Gesundheitszustand verschlechterte sich jedoch innerhalb von sechs Tagen zunehmend und er konnte kaum mehr atmen. Seine Mutter fuhr mit ihm in die Notaufnahme. Kurz nach der Einlieferung ins Krankenhaus wurde er ohnmächtig. Ein Arzt erkannte die Situation und führte eine Tracheotomie bei ihm durch, aber Alexander begann nicht mehr zu atmen. Daraufhin wurde er in eine hallengroße Station gebracht, in der bereits andere Kinder mittels Eisernen Lungen am Leben erhalten wurden. Derartige Stationen gab es während der großen Polio-Epidemie in den 1950er Jahren in großer Anzahl in den USA, teilweise aber auch in Europa. In den folgenden 18 Monaten konnte Alexander kaum sprechen. In dieser Zeit sollen Ärzte nach seinen eigenen Angaben öfter seinen baldigen Tod diagnostiziert haben, was ihm jedoch Lebenswille gegeben habe, weil er beweisen wollte, dass er nicht wie die anderen Kinder sterben werde.[3][6][7][8]
Die Zeit im Krankenhaus erzeugte bei Alexander Panik-Ängste gegenüber Doktoren, weshalb er ab 1954 eine Therapeutin von March of Dimes bekam. Allerdings wollte er nicht mehr dort bleiben, wo ständig Gleichaltrige starben, während er überlebte. Also entschieden seine Eltern, um seine Entlassung zu bitten. Da die Ärzte nicht daran glaubten, dass Alexander noch lange zu leben habe, stimmten sie zu. Es hieß, er würde Weihnachten 1954 nicht mehr erleben.[6][8][9][10]
In der Wohnung seiner Eltern wurde nun die Eiserne Lunge aufgebaut und alles für Alexanders Bedürfnisse umgerüstet. Seine Therapeutin kam weiterhin zu ihm. Er erzählte ihr, dass er mehrfach versucht habe zu atmen, indem er Luft verschluckt habe, doch die Ärzte hätten ihm dies verboten. Die von ihm genutzte Methode zur Atmung ist die sogenannte glossopharyngeale Atmung. Dabei schließt man Luft in der Mund- und Rachenhöhle ein, indem man die Zunge flach drückt und kurz den Mund öffnet, als ob man „Ah“ sagen würde. Wenn man den Mund wieder geschlossen hat, drückt der Kehlkopfmuskel die Luft an den Stimmbändern vorbei in die Lunge. Paul Alexander nannte es selbst „Froschatmen“, weil es an die Atmung eines Froschs erinnert. Seine Therapeutin Sullivan versprach ihm einen Welpen, wenn er länger als drei Minuten ohne Eiserne Lunge mittels „Froschatmung“ durchhielt. Es gelang ihm.[6][8] Nach eigenen Angaben ist er die einzige Person, welche diese Atemtechnik erfolgreich anwendete. Tatsächlich wird die Atmungsmethode aber auch bei anderen Menschen mit Atemlähmung erfolgreich erprobt.
Von Zuhause aus machte er mit 21 als erste Person, die während der Ausbildung selbst nicht persönlich anwesend war, den Abschluss an der Dallas High School. Danach besuchte er zunächst die Methodist University of Dallas. Als es allerdings immer wieder Zurückweisungen wegen seiner Behinderung gab, wechselte er an die Law School der University of Texas in Austin. Diese schloss er 1984 erfolgreich ab. Anschließend arbeitete er – auf einen Rollstuhl angewiesen (er kann lediglich seinen Kopf bewegen) – als Anwalt in Dallas und Fort Worth. Damit war er eine der ersten hochrangigen Personen der USA, die sich in der Öffentlichkeit trotz ihrer Behinderung zeigten. Um seinen Beruf und weitere Tätigkeiten des öffentlichen Lebens selbst auszuüben, nutzte er stets seinen Mund und bediente über einen Strohhalm auch Stifte und Computer. Zudem war er nach eigenen Angaben ein erfolgreicher Anwalt, da viele Klienten und Kläger Respekt vor ihm gehabt haben sollen.[3][6][7][9][10][11][12]
Seine Behinderung hielt ihn nie davon ab, sich die Welt anzusehen. So war er in seinem Leben in Stripclubs unterwegs, flog mit dem Flugzeug, betete in der Kirche und reiste sogar ans Meer – und sah seine Eiserne Lunge dabei nie als Hindernis. Diese nahm er nämlich stets auf seinen Reisen mit; im privaten Umfeld steht sie meist in seinem Wohnzimmer, das er auch als Büro nutzt. Seit einigen Jahren verlässt er sie allerdings kaum noch. Von seinem Umfeld und von Journalisten wird er stets als lebensfroher und gesprächiger Mensch wahrgenommen. Zudem teilte er 2021 mit, dass er keine Angst vor Covid-19 habe, da er bereits eine tödliche Epidemie, die sich negativ auf die Atemwege auswirkt, überlebt habe.[4][3][6][10][13]
2015 kam es zu technischen Problemen an der Maschine. Alexander drohte zu sterben, da er keine andere Maschine zur Beatmung nutzen kann, ohne sich umständlich umgewöhnen zu müssen. Er startete seinerzeit zusammen mit einem Freund einen Aufruf auf der Online-Video-Plattform YouTube, in dem er um Unterstützung bei der Reparatur bat. Es meldete sich Brady Richards vom Environmental Testing Laboratory, einer texanischen Firma aus seiner Umgebung, die sich mit der Modernisierung von Maschinen hinsichtlich neuer Umweltstandards und der Verbesserung der Langlebigkeit befasst. Richards stellte die auszutauschenden Ersatzteile her und konnte so gemeinsam mit Alexander die Eiserne Lunge reparieren. Zusätzlich hortete er diverse ausgemusterte Eiserne Lungen als Ersatzteilspender.[4][5][10][13][14]
Um Polio besser bekämpfen zu können, ist Alexander seit 2015 auch Mitglied des humanitären Rotary Clubs, respektive dessen Sprecher für die Sektion in Dallas. Bereits sein Vater war Ende der 1960er Jahre Mitglied. Alexander lernte den Verein aber über den Rotarier Alexander Peralta kennen. Zudem setzt er sich für die Eradikation von Polio ein und unterstützt entsprechend auch Impfkampagnen, da Polio in einigen Ländern in den letzten Jahren wieder Epidemien verursacht. Kommenden Kindern und Generationen will er sein Leid ersparen.[10][11][15]
Am 13. April 2020 veröffentlichte Alexander zusammen mit seinem Freund Norman D. Brown eine Autobiographie über sein Leben. Das Buch trägt den Titel: Three Minutes for a Dog: My Life In an Iron Lung. Dabei erinnert der Titel an die Anekdote aus seinem Leben, dass er für drei Minuten „Froschatmung“ einen Welpen bekam. Er brauchte laut The Guardian acht Jahre, um dieses Buch zu schreiben, denn er schrieb es hauptsächlich mit einem Stock im Mund, mit dem er die Tastatur betätigte, sowie teilweise auch durch Diktieren an seinen Freund.[6][9]
Im Jahr 2022 hatte er seit genau 70 Jahren seine Eiserne Lunge genutzt. Daher wurde er im Guinness Buch der Rekorde als die Person aufgeführt, die am längsten mit einer solchen überlebt hat.[1]
Obwohl er inzwischen eine modernere Beatmungsmöglichkeit bekommen könnte, möchte er an der Eisernen Lunge bis zum Tod festhalten, weil er sich bereits laut eigenen Angaben daran gewöhnt habe. Sie sei ein Teil von ihm, sagte er in einem Interview.[4][5][13][15] Anderen Quellen zufolge scheint er aber möglicherweise mit einer anderen Möglichkeit gar nicht überleben zu können, da seine Lunge derart verkümmert ist.[14] Zudem ist zu bedenken, dass viele moderne Methoden wie die Intubation meist unter Narkose stattfinden und anders als bei der Eisernen Lunge ein Gespräch mit Mitmenschen nicht möglich ist.
Privates
Alexander hat inzwischen seine beiden Eltern und seinen Bruder Nick, der selbst nicht an Polio erkrankt war, überlebt.[5][10]
Zitate
“I never gave up and I’m not going to.”
„Ich habe niemals aufgegeben, und ich werde es auch nicht.“
“I wanted to accomplish the things I was told I couldn’t accomplish, and to achieve the dreams I dreamed.”
„Ich wollte die Dinge erreichen, von denen man mir sagte, dass ich sie nie erreichen kann, und ich wollte meine Träume verwirklichen.“
“I do the same thing everybody else does. I wake up, wash my face, brush my teeth, shave, have some breakfast — I just need a little bit more help doing it.”
„Ich tu das, was jeder andere auch tut. Ich wache auf, wasche mein Gesicht, putze meine Zähne, rasiere mich und frühstücke — ich brauch nur ein bisschen mehr Hilfe dabei, das zu tun.“
Werke
- 2020: Three Minutes for a Dog: My Life In an Iron Lung, FriesenPress, Dallas.
Weblinks
- The Man in an Iron Lung (A Polio Survivor's Story) auf YouTube, 10. November 2022, abgerufen am 21. Oktober 2023.
Quellen und Einzelnachweise
- Longest iron lung patient. In: guinnessworldrecords.com. 1. Juli 1952, abgerufen am 21. Oktober 2023 (englisch).
- Andrew Court: ‘Polio Paul’ is one of the last men left with an iron lung. In: nypost.com. 1. November 2021, abgerufen am 22. Oktober 2023 (englisch).
- The Man in the Iron Lung auf YouTube, 21. Januar 2021, abgerufen am 22. Oktober 2023.
- Paul Alexander (77) lebt seit 71 Jahren in einer eisernen Lunge. In: blick.ch. Abgerufen am 22. Oktober 2023.
- Der Mann Mit Der Eisernen Lunge. Die letzten Überlebenden Der Kinderlähmung auf YouTube, 31. August 2021, abgerufen am 21. Oktober 2023.
- Linda Rodriguez McRobbie: The man in the iron lung. In: theguardian.com. 6. Januar 2021, abgerufen am 21. Oktober 2023 (englisch).
- The Man in the Iron Lung. In: consumer.healthday.com. 1. Juni 2022, abgerufen am 22. Oktober 2023 (englisch).
- Shalini Mahato: Who is Paul Alexander? All about the Polio-infected man who has survived living inside an iron lung for seven decades. In: msn.com. 31. August 2023, abgerufen am 22. Oktober 2023 (englisch).
- Smithsonian Magazine: Texas Man Lives 70 Years in an Iron Lung: 'I Never Gave Up' – Smart News – Smithsonian Magazine. In: smithsonianmag.com. Abgerufen am 22. Oktober 2023 (englisch).
- Man living in iron lung for more than 70 years shows what happened when it started 'falling apart'. In: ladbible.com. 4. September 2023, abgerufen am 22. Oktober 2023 (englisch).
- Rotary Verlags GmbH: Panorama - Mann in Eiserner Lunge wird Mitglied bei Rotary –. In: rotary.de. 20. Januar 2015, abgerufen am 22. Oktober 2023.
- Mr. Paul R. Alexander. In: martindale.com. Abgerufen am 27. Oktober 2023 (englisch).
- This man has been locked in this obsolete machine for almost 60 years. In: independent.co.uk. 11. Juli 2018, abgerufen am 21. Oktober 2023 (englisch).
- Uncovering the Insane Truth about Man Who's Lived for 70 Years in Iron Lung. Abgerufen am 23. Oktober 2023.
- Tinanya Mendy: 77-Jähriger ist letzter Mensch, der noch Eiserne Lunge nutzt. In: heftig.de. 21. Juni 2023, abgerufen am 22. Oktober 2023.