Remigration
Remigration (auch Rückwanderung oder Rückkehrmigration) bezeichnet den Teil eines Migrationsprozesses, bei dem Menschen nach einer beträchtlichen Zeitspanne in einem anderen Land oder einer anderen Region in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren und sich in die Herkunftsgesellschaft längerfristig wiedereingliedern. Remigration findet in umgekehrter Richtung zur vorangegangenen Migration statt. Der Begriff findet in den Wirtschafts- und Migrationssoziologie sowie in der Exilforschung Anwendung.
Er wurde von der Neuen Rechten als Kampfbegriff und Euphemismus für Vertreibung und Deportation übernommen. Eine Jury wählte ihn zum „Unwort des Jahres 2023“ in Deutschland.
Definition
Der Begriff steht für die Rückkehr in einem engeren oder weiteren Herkunftskontext der Migration meist am Ende einer Wanderungskette. Üblicherweise wird von Remigration nur innerhalb der Biografie einer einzelnen Person gesprochen.[1] Die Remigration der Nachfahren wird unter dem Terminus „Remigration der 2. Generation“ in der Migrationssoziologie behandelt.[2] Man unterscheidet zwischen der freiwilligen und erzwungenen Rückkehr. Eine Remigration kann durch einen Migranten selbst initiiert oder aber auch erzwungen sein. Im Kontext der staatlich erzwungenen Rückkehr werden die Begriffe „Rückführung“, „Abschiebung“, „Ausweisung“ oder „Deportation“ gebraucht.[3] Auch bei der freiwilligen Rückkehr können staatliche Institutionen oder Nichtregierungsorganisationen beteiligt sein, die die Remigration bzw. Reintegration organisatorisch und/oder finanziell unterstützen.[3]
Für Remigrationen gelten potentiell dieselben heterogenen Beweggründe[4] wie für andere Formen der Migration. Es können jedoch zusätzliche Faktoren dazukommen, wie etwa der Wunsch, sich nach einer politisch motivierten Emigration in den veränderten Herkunftskontext einzubringen, oder einfach Heimweh.
Rückkehr ist nicht gleichbedeutend mit dem Ende des Migrationsvorganges, sondern sie kann Teil einer Kettenmigration oder im Fall der Zirkularmigration eines wiederkehrenden Zyklus bei Individuen oder Gruppen sein.[4] Eine Einordnungsmöglichkeit der transnationalen Remigration orientiert sich am relativen Entwicklungsstand der beiden betroffenen Länder und kennt drei Typen: Remigration zwischen etwa gleich entwickelten Staaten, die Rückkehr aus einem hochentwickelten Staat in einen weniger entwickelten und die Rückkehr aus einem weniger entwickelten in einen höher entwickelten Staat.[5]
Wortgeschichte
Nach dem Oxford English Dictionary stammt die frühste bekannte Verwendung des Wortes Remigration aus dem frühen 17. Jahrhundert. Der religiöse Kontroversist Andrew Willet der Church of England verwendete es 1608 in seinen Schriften.[6] Ernst Ravenstein, die Vaterfigur der Migrationsforschung erwähnte in seinem Werk The laws of migration 1885 nur den vagen Begriff „Counterflows“ der sowohl den Fluss zurückkehrender Migranten als auch einen entgegengesetzten Migrantenfluss bedeuten könnte. Bis in die 1960er Jahre wurde die Remigration kaum erforscht, da es keine befriedigende Datengrundlage gab und die Migrationsforscher sich auf andere Aspekte der Migration konzentrierten.[7]
Konsequenzen der Remigration
Die Remigration hat Auswirkungen auf die Identität der Migranten. Im Zuge der Einwanderung und Rückwanderung entstehen Zugehörigkeitsgefühle zu beiden beteiligten Staaten, Regionen oder Kulturen (so genannte transnationale hybride Identitäten). Diese bedeuten nicht unbedingt einen Identitätskonflikt für den Migranten, sondern addieren sich oft zu einer persönlichen Identität.[4] Die Rückwanderung bringt unter anderem Konsequenzen bezüglich der Sozialversicherung mit sich. Beispielsweise können bei der (dauerhaften) Rückkehr eines Ausländers in seine Heimat Rentenkürzungen anstehen und/oder die Voraussetzungen für eine Beitragserstattung bei der gesetzlichen Rentenversicherung vorliegen (siehe hierzu zum Beispiel auch die betreffenden Abschnitte im Artikel Altersmigration).
Auf gesellschaftlicher Ebene können remigrierte Personen Modernisierungswirkungen auf die Herkunftsländer haben. Diese hängen unter anderem von den sozio-politischen Verhältnissen im Ausgangsland sowie auch oft von der Freiwilligkeit der Remigration und den damit verbundenen Zielen ab.[8]
Untersuchungen
Vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung wurde mit der Paneldatenstudie German Emigration and Remigration Panel Study (GERPS) – einer mit dem Sozio-oekonomischen Panel verwandten Studie – der soziokulturelle Hintergrund von Emigration und Remigration untersucht.[9]
Für Südtirol untersuchen die Universitäten Bozen und Innsbruck die Remigration von Südtirolern, die sich bei der Option in Südtirol für die Auswanderung ins Deutsche Reich entschieden hatten und denen von Italien 1948 eine Rückkehroption angeboten wurde.[10]
Politisches Schlagwort der Neuen Rechten
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Renaud Camus, einer der Vordenker des rechtsextremen Rassemblement National, propagierte nach seinem 2011 erschienenen Werk Le Grand Remplacement die „Remigration“ als Heilmittel gegen die „Masseneinwanderung“ und „Islamisierung“. Der Euphemismus für die Vertreibung ganzer Bevölkerungsgruppen entwickelte sich zu einem Schlüsselbegriff des französischen identitären Denkens.[11]
Als politisches Schlagwort und Euphemismus für die Parole „Ausländer raus“[12] wurde der Begriff durch die Identitäre Bewegung eingeführt und von der Neuen Rechten wie auch der AfD[13][14] übernommen, die unter Remigration die Rückführung nichteuropäischer Migranten in ihre Herkunftsländer verstehen.[15] Nach Ansicht Bernhard Weidingers, Mitarbeiter der Stiftung DÖW (Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes), seien damit Massendeportationen von Geflüchteten gemeint.[16] Im Januar 2024 wurde ein sogenannter „Masterplan zur Remigration“ bekannt, den der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner bei einem Treffen von Rechtsextremisten in Potsdam 2023 vorgestellt hatte.[17]
Unwort des Jahres 2023 in Deutschland
Die Jury der Sprachkritischen Aktion Unwort des Jahres wählte mit Gastjuror Ruprecht Polenz „Remigration“ als „beschönigend für die Forderung nach Zwangsausweisungen und bis hin zu Massendeportationen“ zum Unwort des Jahres 2023.[18][19][20] Der Begriff wurde bereits vor der besonderen Medienaufmerksamkeit auf das Treffen von Rechtsextremisten in Potsdam 2023 vorgeschlagen.[21]
Literatur
- Alexander von der Borch-Nitzling: (Un)heimliche Heimat. Deutsche Juden nach 1945 zwischen Abkehr und Rückkehr. Paulo-Freire-Verlag, Oldenburg 2007, ISBN 978-3-86585-801-6.
- Beatrix Brecht, Paul Michels: Remigration von Gastarbeitern Eine Analyse mit nichtparametrischen Schätzverfahren. In: Heinz Galler, Gerhard Heilig, Gunter Steinmann (Hrsg.): Acta Demographica 1993. Physica Verlag, Heidelberg 1994, ISBN 978-3-7908-0567-3, S. 243–256.
- Edda Currle: Theorieansätze zur Erklärung von Rückkehr und Remigration. In: Sozialwissenschaftlicher Fachinformationsdienst soFid. Migration und ethnische Minderheiten, Heft 2, 2006, S. 7–23.
- Michael Grisko, Henrike Walter (Hrsg.): Verfolgt und umstritten! Remigrierte Künstler im Nachkriegsdeutschland. Lang, Frankfurt am Main/Berlin/Bern/Brüssel/New York/Oxford/Wien 2011, ISBN 978-3-631-61191-3.
- Russell King, Katie Kuschminder (Hrsg.): Handbook of return migration. Edward Elgar Publishing, Cheltenham 2022, ISBN 978-1-83910-004-8.
- Russell King (Hrsg.): Return Migration and Regional Economic Problems. Croom Helm, London 1986, ISBN 0-7099-1578-0.
- Claus-Dieter Krohn, Axel Schildt: Zwischen den Stühlen? Remigranten und Remigration in der deutschen Medienöffentlichkeit der Nachkriegszeit. Christians, Hamburg 2002, ISBN 3-7672-1411-3.
- Claus-Dieter Krohn: Exil und Remigration. Edition Text und Kritik, München 1991, ISBN 3-88377-395-6.
- Irmela von der Lühe: „Auch in Deutschland waren wir nicht wirklich zu Hause.“ Jüdische Remigration nach 1945. Wallstein, Göttingen 2008, ISBN 978-3-8353-0312-6.
- Claudia Olivier-Mensah: TransREmigration. Rückkehr im Kontext von Transnationalität, persönlichen Netzwerken und Sozialer Arbeit. transcript, Bielefeld 2017, ISBN 978-3-8376-3903-2.
Weblinks
- Remigration, Rückwanderung, Glossar des Virtuellen Migrationsmuseums
- Sarah Scholl-Schneider: Remigration, Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
- Lemma Remigration, Online-Lexikon der Geographie, Spektrum.de
- Marina Aschkenasi: Jüdische Remigration nach 1945, Aus Politik und Zeitgeschichte, 42/2014
- Deutschlandkarte 30/2017 „Zurück in die alte Heimat“ des ZEITmagazins, 24. Juli 2017
Einzelnachweise
- Die Definition folgt Sarah Scholl-Schneider: Remigration, in: Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Stand 2015
- Dennis Conway, Robert B. Potter: Return Migration of the Next Generations – 21st Century Transnational Mobility. Ashgate Publishing, 2009, ISBN 978-0-7546-7373-6, S. 3.
- Edda Currle: Theorieansätze zur Erklärung von Rückkehr und Remigration. In: soFid Migration und ethnische Minderheiten, Heft 2/2006, S. 7.
- Edda Currle: Theorieansätze zur Erklärung von Rückkehr und Remigration. Sozialwissenschaftlicher Fachinformationsdienst, in 2006/2 Migration und ethnische Minderheiten. S. 14-15.
- Russell King (Hrsg.): Return Migration and Regional Economic Problems. Croom Helm, 1986, ISBN 0-7099-1578-0 S. 5.
- remigration, n., In: Oxford English Dictionary (Onlineausgabe), abgerufen am 17. Januar 2024.
- Russell King (Hrsg.): Return Migration and Regional Economic Problems. Croom Helm, 1986, ISBN 0-7099-1578-0 S. 1 f.
- Edda Currle: Theorieansätze zur Erklärung von Rückkehr und Remigration. Sozialwissenschaftlicher Fachinformationsdienst, in 2006/2 Migration und ethnische Minderheiten, S. 10–12.
- Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung: German Emigration and Remigration Panel Study (GERPS)
- ReMIGRA: Return Migration as an Interdisciplinary Research Area – Using the Example of the South Tyrolean "Return Option. Autonome Provinz Bozen.
- La «remigration», un concept qui essaime au-delà des identitaires. In: Liberation. 12. April 2019, abgerufen am 15. Januar 2024.
- Ines Aftenberger: Die ‚identitäre‘ Beseitigung des Anderen. Der gar nicht mehr so neue Neorassismus der ‚Identitären‘. In: Judith Goetz, Joseph Maria Sedlacek, Alexander Winkler (Hrsg.): Untergangster des Abendlandes. Ideologie und Rezeption der rechtsextremen ‚Identitären‘. 2. Auflage. Marta Press, Hamburg 2018, S. 217.
- Geheimplan gegen Deutschland. In: correctiv.org. 10. Januar 2024, abgerufen am 11. Januar 2024 (deutsch).
- AfD-Sprecher Höcke fordert „Verabschiedungskultur“. Abgerufen am 11. Januar 2024 (österreichisches Deutsch).
- Remigration, „Neue Wörter, alter Hass“, taz vom 1. Juli 2019.
- ORF at/Agenturen red: DÖW-Experte: Keine FPÖ-Abgrenzung mehr zu Identitären. 31. Juli 2023, abgerufen am 31. Juli 2023.
- Martin Nefzger: AfD-Mitglieder und Neonazis entwickelten bei Treffen radikalen „Masterplan“. 10. Januar 2024, abgerufen am 12. Januar 2024.
- Lennart Jerke, dpa, KNA Katholische Nachrichten-Agentur KNA, AFP: Sprache : „Remigration“ ist das Unwort des Jahres 2023. In: Die Zeit. 15. Januar 2024, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 15. Januar 2024]).
- https://www.spiegel.de/kultur/remigration-ist-unwort-des-jahres-2023-a-3776ca1b-b01e-405e-953e-dc44b49c4268
- https://www.unwortdesjahres.net/wp-content/uploads/2024/01/Pressemitteilung_Unwort_2023_finale_Version_Marburg.pdf
- Eva Schramm: Unwort des Jahres 2023: Was verbirgt sich hinter „Remigration“? In: NDR Kultur. 15. Januar 2024, abgerufen am 16. Januar 2024.