Schultz-Hoff-Entscheidung
Die Schultz-Hoff-Entscheidung ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Vereinbarkeit von deutschem und britischem Urlaubsrecht mit der Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (so genannte Arbeitszeitrichtlinie). Der Gerichtshof entschied am 20.01.2009 (Rechtssache C‑350/06) , dass ein Arbeitnehmer seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht verliert, wenn er diesen Urlaub aus Krankheitsgründen nicht antreten konnte. Der nicht genommene Urlaub sei vielmehr finanziell abzugelten. Nationale Gesetze, die diesem Grundsatz widersprechen, verstießen gegen die Arbeitszeitrichtlinie. Prüfungsmaßstab des Gerichtshofs ist Artikel 7 der EU-Richtlinie 2003/88:
Jahresurlaub
(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen
Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.
(2) Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.
Dem Recht auf bezahlten Jahresurlaub hat Art. 31 Abs. 2 GRC seit dem 01.12.2009 den Rang des sozialen Unionsgrundrechts verliehen. Der EuGH hat danach entschieden, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub unmittelbar in der GRC verankert ist. Weil Art. 7 RL 2003/88 das Grundrecht auf Jahresurlaub konkretisiert, ist die Kontinuität der EuGH-Rechtsprechung und die richtungweisende Bedeutung des Urteils Schultz-Hoff gewahrt.
Vorgeschichte
Erstmals hatte sich der EuGH im Urteil BECTU (26.06,2001 C-173/99) mit dem unionalen Urlaubsrecht befasst. Das Urteil stellt den arbeitszeitrechtlichen Grundcharakter des Jahresurlaubs als „Ruhezeit“ heraus und verbietet eine zu Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie konträre nationale Regelung. In der Rechtssache FNV (06.04.2006 C-124/05) untersagt der Gerichtshof die Ausbezahlung des zum Ende des Urlaubsjahres offenen Urlaubsanspruchs und verweist auf die bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegebene Erfüllbarkeit des Naturalurlaubsanspruchs
Das BAG hatte, auf die Wortlautauslegung des BUrlG gestützt, in ständiger Rechtsprechung seit 1982 entschieden, dass der Urlaubsanspruch lediglich das Bestehen des Arbeitsverhältnisses und keine im Urlaubsjahr erbrachte Arbeit voraussetze; der Urlaubsanspruch erlösche aufgrund des Fristenregimes in § 7 Abs. 3 BUrlG zum 31.12. des Urlaubsjahres, im Übertragungsfall zum 31.03. des Folgejahres; das gelte – wegen dessen Surrogatcharakter – ebenfalls für den Anspruch auf Urlaubsabgeltung. Diesem Gesetzesverständnis war am LAG Düsseldorf hartnäckig widersprochen worden. Zur Klärung der „urlaubsrechtlichen Fehde“ zwischen den Gerichten legte das LAG mit Beschluss den Schultz-Hoff-Fall dem EuGH vor. Das Vorgehen fand ein geteiltes Echo, wurde von Kritikern als ‚Spiel über die Bande’ missbilligt, das Vorabentscheidungsersuchen habe „geringe europarechtliche Anknüpfungspunkte“[1],
sei ein „letztes Aufbäumen … des LAG Düsseldorf“[2].
Sachverhalt
Der Kläger des Ausgangsverfahrens, Gerhard Schultz-Hoff, war seit 1971 bei der Deutschen Rentenversicherung Bund und deren Rechtsvorgängern beschäftigt. Im Jahr 2004 war er bis Anfang September arbeitsfähig. Anschließend war er fortlaufend bis zum 30. September 2005, dem Zeitpunkt, zu dem sein Arbeitsverhältnis endete, krankgeschrieben. Einen Antrag auf Erholungsurlaub lehnte die Deutsche Rentenversicherung Bund im Mai 2005 mit der Begründung ab, dass Schultz-Hoff wegen seiner Arbeitsunfähigkeit kein Urlaub gewährt werden könne. Im September 2005 wurde Gerhard Schultz-Hoff eine unbefristete Rente rückwirkend ab 1. März 2005 bewilligt. Anschließend verklagte Schultz-Hoff seinen ehemaligen Arbeitgeber auf Abgeltung des Jahresurlaubs für die Jahre 2004 und 2005. Er forderte eine Entschädigung in Höhe von 14.094,78 € brutto.
Verfahren in erster und zweiter Instanz
Das Arbeitsgericht Düsseldorf wies die Klage mit Urteil vom 07.03.2006 (3 Ca 7906/05) ab, da der Urlaubsanspruch erloschen sei und deshalb kein Anspruch auf Urlaubsabgeltung bestehe. Es berief sich dazu auf die langjährige Rechtsprechung des BAG. Nach dieser Rechtsprechung erlosch ein Urlaubsanspruch spätestens mit dem Ende des so genannten Übertragungszeitraumes, im Regelfall also gemäß § 7 Abs. 3 S. 3 Bundesurlaubsgesetz mit dem 31. März des Folgejahres (BAG, 11.04.2006, 9 AZR 523/05). Dies galt nach Auffassung des BAG auch dann, wenn der Urlaub wegen Krankheit nicht angetreten werden konnte. Ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung entstand in diesen Fällen nicht.
Gerhard Schultz-Hoff legte gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berufung vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf ein. Das LAG (12. Kammer) wollte aufgrund sog. richtlinienkonformer Auslegung der Klage stattgeben und Gerhard Schultz-Hoff die begehrte Urlaubsabgeltung zusprechen. Es sah sich aber durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts daran gehindert. In vergleichbaren Fällen hatte das BAG die Urteile des LAG stets aufgehoben, so dass Juristen von einer „urlaubsrechtlichen Fehde“ zwischen den beiden Gerichten sprachen.[3] Das LAG Düsseldorf setzte deshalb das Verfahren aus und legte mit Beschluss vom 02.08.2006 (12 Sa 486/06 a) den Fall dem Europäischen Gerichtshof vor. Der Gerichtshof sollte – verkürzt gesagt – entscheiden, ob die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Verfall von Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen mit europäischen Recht vereinbar war. .
Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof
Das Verfahren Schultz-Hoff wurde vom EuGH als sogenanntes Vorabentscheidungsverfahren durchgeführt. Bei derartigen Verfahren entscheidet der Gerichtshof auf Vorlage des Gerichtes eines Mitgliedstaates (hier: des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf) über die Auslegung des europäischen Rechts (hier: der Arbeitszeitrichtlinie). Die Rechtsauslegung des EuGH ist für das nationale Gericht bindend. Das nationale Gericht spricht sein Urteil auf Grundlage der Rechtsauffassung des Europäischen Gerichtshofs und entscheidet damit den Ausgangsprozess.
Der Gerichtshof verband die Rechtssache Schultz-Hoff mit der Rechtssache Stringer (Aktenzeichen C-520/06), die ihm vom House of Lords zur Entscheidung vorgelegt worden war (Aktenzeichen C-520/06). Auf die Schlussanträge vom 24.01.2008 der Generalanwältin Trstenjak folgte am 20.01.2009 das Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer). Der EuGH stimmte weitgehend der vom LAG Düsseldorf vertretenen Rechtsauffassung zu und erkannte,
1. dass der Urlaub bei dauerhafter Arbeitsunfähigkeit nicht verfalle und der Abgeltungsanspruch nicht die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit voraussetze. Damit entzog das Urteil der entgegenstehenden BAG-Rechtsprechung die bisherige Argumentationsgrundlage.
2. Weiterhin ließ der Gerichtshof (Schultz-Hoff, Rn. 43) den Weg offen für einzelstaatliche Vorschriften, die das ersatzlose Erlöschen des Urlaubsanspruchs ermöglichen. Allerdings stellt er hieran seit dem Urteil Max-Planck (06.11.2018 – C-684/16) als strenge Bedingung, dass der Arbeitgeber zunächst zu initiativen Aufforderungspflichten und Hinweispflichten verpflichtet werden müsse.
3. Weitergehend als das LAG, dass für die Entstehung des vollen Urlaubsanspruchs nicht die Dauerkrankheit genügen lassen, sondern voraussetzen wollte, dass der Arbeitnehmer während des Urlaubsjahrs eine gewisse Zeit tatsächlich gearbeitet habe, stellte Schultz-Hoff den krankheitsbedingt arbeitsabwesenden Arbeitnehmer mit dem tatsächlich arbeitenden Arbeitnehmer uneingeschränkt gleich. Die Frage des LAG, ob der Urlaubsanspruch durch u. U. verschuldete Arbeitsabwesenheitszeiten begründet werden könne, ließ der Gerichtshof unbeantwortet. Im Urteil Dicu (04.10.2018 – C-12/17, Rn. 28) klärt er diese Rechtsfrage mit der Formel, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auf der auf der Prämisse beruhe, dass der Arbeitnehmer im Lauf des Bezugszeitraums tatsächlich gearbeitet habe und die Ansprüche anhand der auf der Grundlage des Arbeitsvertrags tatsächlich geleisteten Arbeitszeiträume zu berechnen seien.
Folgen des EuGH-Urteils
Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf
Am 02.02.2009 (12 Sa 486/06) verkündete das LAG Düsseldorf sein Urteil in Sachen Schultz-Hoff gegen Deutsche Rentenversicherung Bund und sprach Gerhard Schultz-Hoff eine Urlaubsabgeltung in Höhe von 12.081,00 Euro brutto nebst Zinsen zu. Die Arbeitgeberin akzeptierte das Urteil und ging nicht in Revision.
Rechtsprechungsänderung des Bundesarbeitsgerichts
Als Folge der Schultz-Hoff-Entscheidung passte das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung den Vorgaben des EuGH an. Das BAG nahm dazu eine Revision gegen ein Urteil des LAG Köln zum Anlass. Am 24.03.2009 (9 AZR 983/07) entschied es, dass der Anspruch auf Abgeltung gesetzlichen Voll- oder Teilurlaubs nicht erlösche, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums erkrankt und deshalb arbeitsunfähig sei.
Reaktionen
Die in Schultz-Hoff entwickelten Urlaubsgrundsätze stellten die Gewöhnung in den einzelnen EU-Staaten und insbesondere in Deutschland an innerstaatlich abweichende Urlaubsvorschriften und die Rechtsprechung der nationalen Fachgerichte infrage. Während das BAG die Vorgaben des EuGH hinnahm, wurden die Schultz-Hoff-Entscheidung und deren Auswirkungen auf die Praxis in der deutschen Fachliteratur teilweise heftig bemängelt[4]. Ein besonderer Kritikpunkt war die die Gefahr der erheblichen organisatorischen und finanziellen Belastung des Arbeitgebers durch die aufgrund jahrelanger Krankheit angesammelten Ansprüche auf bezahlten Urlaub.
Die rechtliche Problematik der Urlaubskumulation gründet vor allem darin, dass nach Unionsrecht die Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für die Beachtung der durch die Richtlinie 2003/88 verliehenen Rechte nicht unbeschränkt sein kann (EuGH 14.05.2019 C-55/18 CCOO, Rn. 59) und gemäß Art. 20 uns 21 GRC unterschiedliche Sachverhalte nicht gleichbehandelt werden dürfen (EuGH 24.02.2022 C-262/20 Glavna, Rn. 58). Ebenso ist nach deutschem Recht die Verhältnismäßigkeit und Gleichheitsgerechtigkeit auferlegter Belastungen zu wahren (zum Mutterschutz BVerfG 18.11.2003 - 1 BvR 302/96, Rn. 109 ff., zum Bildungsurlaub BVerfG 11.02.1992 - 1 BvR 890/84, Rn. 42-44; ferner BVerfG 07.04.2022 - 1 BvL 3/18,, Rn. 314 ff.). Im Unionsrecht ist kein Urlaubsanspruch für erkrankte Arbeitnehmer und kein arbeitsrechtlicher Schutz von erkrankten Menschen kodifiziert, und der Urlaubserwerb für den erkrankten Arbeitnehmer, weil seitens seines Arbeitgebers keinen arbeitszeitbezogenen Verpflichtungen unterworfen, ist auch nicht unter dem Aspekt von geleisteter und fremdbestimmter Arbeitszeit begründbar. Daher liegt der Urlaubserwerb – ohne Wartefrist, ohne betriebliche (Mit)Ursächlichkeit, ggf. nach selbstverschuldeter Arbeitsunfähigkeit und ohne sonst greifbare besondere Verantwortungsbeziehung des Arbeitgebers – weitgehend im sozialpolitischen Interesse der Allgemeinheit. Aufgrund der unterschiedlichen Betroffenheit des einzelnen Arbeitgebers und finanziellen und organisatorischen Belastung durch Urlaubspflichten für langzeitig erkrankte Arbeitnehmer wird mit Blick auf gleichheitsgerechte Ergebnisse problematisch, inwieweit vor allem kleineren, personalintensiven Unternehmen mit gesundheitlich gefährdenden Geschäftstätigkeiten die Belastung zugemutet werden können (vgl. EuGH 09.11.2023 C‑271/22 Keolis Agenn, Rn. 10/50f.).
Die EU kann zwar gem. Art. 151 AEUV zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen regelnd tätig werden. Jedoch ist unbeschrieben, ob der Unionsgesetzgeber beim Erlass der RL 2003/88 und der GRC sich mit dem Urlaubserwerb auch für Krankheitszeiten befasste (vgl. EuGH 08.12.2020 C 620/18 Ungarn/ Parlament und Rat, Rn. 115 f.) und die urlaubserwerbliche Privilegierung von Krankheitszeiten gegenüber anderen, in Art. 5 Abs. 4 IAO Übk Nr. 132 erfassten unvorhersehbaren und ungewollten Verhinderungsfällen wie Quarantäne, unschuldige Inhaftierung, Einberufung zum Wehrdienst usw. sowie die Kohärenz der urlaubserwerblichen Belastung des Arbeitgebers durch den (unionsrechtlich besonders geschützten) 4-wöchigen Mutterschutzurlaub[5] zu der u. U. ganzjährigen krankheitsbedingten Arbeitsabwesenheit.einschätzte. Der Unionsgerichtshof hat die unterschiedliche Belastung in der Arbeitgeberschaft erkannt (vgl. EuGH 26.06.2001 C-173/99 BECTU, Rn. 60 f.). Allerdings gilt nach seiner Rechtsprechung die unternehmerische Freiheit nicht schrankenlos, und staatliche Eingriffe dürfen im allgemeinen Interesse die Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit beschränken (EuGH 21.12. 2021 C 124/20 Bank Melli Iran, Rn. 80 ff) ,
KHS-Entscheidung
Der EuGH reagierte mit Urteil vom 22.11.2011 (C-214/10) in der Rechtssache KHS auf die Gefahr der Ansammlung von Urlaubszeiten durch langandauernde Krankheit und begrenzte den im Urlaubsjahr erworbenen Urlaubsanspruch, falls ausschließlich durch Krankheitszeiten erworben, durch die den Mitgliedstaaten zugebilligte Befugnis, in innerstaatlichen Rechtsvorschriften, namentlich in ihren nationalen Urlaubsgesetzen oder in Tarifverträgen, das Erlöschen des Anspruch nach einer 15-monatigen Nachfrist vorzusehen. Eine solche Übertragungsfrist könne „vernünftigerweise als Zeitraum eingestuft werden, bei dessen Überschreitung der bezahlte Jahresurlaub für den Arbeitnehmer keine positive Wirkung als Erholungszeit mehr hat. Erhalten bleibt ihm lediglich seine Eigenschaft als Zeitraum für Entspannung und Freizeit. Zudem müsse der Übertragungszeitraum den Arbeitgeber vor der Gefahr der Ansammlung von zu langen Abwesenheitszeiträumen und den Schwierigkeiten schützen, die sich daraus für die Arbeitsorganisation ergeben können“. Die Übertragungsfrist von mindestens 15 Monaten begründete der EuGH weiterhin mit den Fristen in Art. 9 IAO Übk. 132, bis zu denen der Urlaub zu gewähren und zu nehmen sei. Das BAG hat die verbindliche EuGH-Rechtsprechung übernommen (BAG 07.08.2012 - 9 AZR 353/10, Rn. 28)[6]
Das Urteil KHS, insbesondere von arbeitgebernahen Kommentierungen „als „notwendige Korrektur von Schultz-Hoff“ begrüßt“[7] begrüßt, hat Unklarheiten und Irritationen in den EU-Ländern und zahlreiche Vorabentscheidungsersuchen ausgelöst. Was bis in jüngste Zeit den EuGH beschäftigt, seine Rechtsprechung im unionalen Urlaubsrecht zu Detailfragen weiterzuentwickeln. Das Rechtsrelief der in Schultz-Hoff/KHS dargestellten ,Verweisungskaskade‘[8] (von Art. 31 Abs. 2 GRC bis hin zu Art. 5 Abs. 4 und Art. 9 Abs. 1 des IAO-Übk. 132) führt zu manchen tatsächlichen und rechtlichen Problemen[9], die seither von der Rechtsprechung unter Berücksichtigung der allgemeinen Rechtsgrundsätze, insbesondere der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit, gelöst werden müssen[10].
Schließlich kann es nach dem KHS-Konzept geschehen, dass – was der EuGH an sich zu degoutieren pflegt (EuGH 21.06.2012 C‑78/11 ANGED, Rn. 22) – kalendarische Zufälligkeiten hinsichtlich des Eintritts und des Endes einer längeren Krankheit über Entstehung und Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruch und ggf. sein vorzeitiges, ersatzloses Erlöschen bestimmen.
Eine weitere Komplikation ist in der Rechtspraxis dadurch aufgetreten, dass in den EU-Mitgliedstaaten[11] und auch in Deutschland von Seiten der nationalen Normgeber mit der unionsrechtskonformen Schaffung der vom EuGH geforderten und von den nationalen Fachgerichten angemahnten „einzelstaatlichen Rechtsvorschriften“ gezögert wird. Insoweit erwartet der Unionsgerichtshof die Umsetzung seiner Entscheidungen durch vom nationalen Gesetzgeber geschaffene normenbestimmte und normenklare Vorschriften[12] und stellt hieran harte Bedingungen[13].
Vor diesem Hintergrund ist, nach einer Werkstattparabel der BAG-Präsidentin[14], das Urlaubsrecht gewissermaßen eine Werkstatt des Unionsrechts.
Literatur
- Jobst-Hubertus Bauer, Christian Arnold: EuGH kippt deutsches Urlaubsrecht. Die Schultz-Hoff-Entscheidung und ihre Folgen. In: Neue Juristische Wochenschrift. Nr. 10, 2009, S. 631–636.
- Hans Georg Rummel: Konsequenzen aus der EuGH-Entscheidung Schultz-Hoff für die Urlaubsrechtsprechung in Deutschland. In: Arbeit und Recht. 2009, S. 160–164.
- Stephan Pötters, Tom Stiebert: Neuausrichtung des deutschen Urlaubsrechts: Wie weit reichen die Konsequenzen der Rechtsprechung des EuGH? In: ZESAR. Nr. 1, 2012, S. 23–30.
- Jobst-Hubertus Bauer, Andreas von Medem: Von Schultz-Hoff zu Schulte − der EuGH erweist sich als lernfähig. In: Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht. Nr. 3, 2012, S. 113–119.
- Stephan Pötters, Ralph Christensen: Richtlinienkonforme Rechtsfortbildung und Wortlautgrenze. In: JuristenZeitung. Nr. 8, 2011, S. 387–394.
- Daniel Gehlhaar: Das BAG, der EuGH und der Urlaub. Oder: Schultz-Hoff – auf die „Nuancen“ kommt es an! In: Neue Juristische Wochenschrift. Nr. 5, 2012, S. 271–274.
- Stephan Pötters, Tom Stiebert: Fallstricke im Urlaubsrecht – weiterhin keine Rechtssicherheit für die Praxis? In: Neue Juristische Wochenschrift. Nr. 15, 2012, S. 1034–1039.
Einzelnachweise
- Thüsing, BB 2007, Heft 25, ‚Erste Seite‘
- Glaser/Lüders, BB 2006, 2694
- Steffen Krieger, Christian Arnold: Urlaub 1. + 2. Klasse – Das BAG folgt der Schultz-Hoff-Entscheidung des EuGH. In: Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht. Nr. 10, 2009, S. 530.
- Wolfgang Leinemann: Die Deformierung der Urlaubsabgeltung durch den Europäischen Gerichtshof. In: Der Betrieb. Nr. 8, 2009, S. I (online).
- dazu EuGH 04.10.2018 C‑12/17 Rn. 30, 34 und EuGH 01.07.2010 C‑194/0 Gassmayr, Rn. 80
- BAG 07.08.2012 9 AZR 353/10, Rn. 28
- Jobst-Hubertus Bauer, Andreas von Medem: Von Schultz-Hoff zu Schulte − der EuGH erweist sich als lernfähig. In: Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht. Nr. 3, 2012, S. 113 (115).
- zur Begrifflichkeit BVerfG 28.09.2022 - 1 BvR 2354/13, Rn. 112
- zB. EuGH 27.04.2023 C‑192/22 BMW und EuGH 14.12.2023 C‑206/22 Sparkasse Südpfalz
- EuGH 08.12.2020 C‑620/18 Ungarn/ Parlament und Rat, Rn. 115 f.
- zB. EuGH 09.11.2023 C-271/22 Keolis Agen, Rn. 14
- EuGH 21.10.2010 C‑227/09 Accardo Rn. 51, 55; vgl. BVerwG 14.08.2023 6 C 6.22, Rn. 45 f.
- EuGH 09.11.2023 C‑271/22 Keolis Agen, Rn. 45, EuGH 22.09.2022 C‑120/21 LB, Rn. 36, EuGH 06.11.2018 C-619/16 Kreuziger, Rn. 41/52, und C‑684/16 Max-Planck, Rn. 74
- Gallner, Festschrift 75 Jahre LAG Düsseldorf, S. 30