Hans Geissel

Hans Geissel (* 13. Mai 1950 in Alsfeld) ist ein deutscher Experimentalphysiker, der sich mit der atomaren und nuklearen Wechselwirkung energiereicher Schwerionen mit Materie beschäftigt. Dabei bilden die Entdeckung von neuen Isotopen und die Untersuchung ihrer Eigenschaften einen besonderen Schwerpunkt. Geissel war außerplanmäßiger Professor am II. Physikalischen Institut der JLU (emeritiert 2015)[1] und war Leiter der Abteilung FRS / Super-FRS beim GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt, wo er heute als Helmholtz Professor tätig ist.[2]

Foto von Hans Geissel
Hans Geissel (2023)

Biografie

Hans Geissel studierte Physik an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Seine Diplomarbeit, betreut von Gottfried Münzenberg, beschäftigte sich 1977 mit dem Bau von Flugzeitmassenspektrometer im Rahmen des Aufbaus des Schwerionen-Separators SHIP, dem Herzstück der Anlage zur Erzeugung der schwersten Elemente an der 1969 gegründeten Gesellschaft für Schwerionenforschung in Darmstadt (heute GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung). Seine Dissertation in der Gruppe von Peter Armbruster befasste sich mit dem Studium der atomaren Wechselwirkung von energiereichen Schwerionen in Materie im Energiebereich bis 10 MeV/u. Der universelle lineare Beschleuniger UNILAC stellt seit 1974 an der GSI weltweit erstmals alle Spezies von Projektilionen, vom Wasserstoff bis zu den schwersten, Uran, für Experimente zur Verfügung. Von 1982 bis 1984 war Geissel Post-Doktorand am kanadischen Atomic Energy of Canada Limited in den Chalk River Laboratories. Seine dortige Forschung in der Festkörperphysik-Gruppe von William N. Lennard führte er am dortigen Forschungsreaktor und an kleineren Ionenbeschleunigern durch.

Aufbau des Fragment-Separators FRS bei GSI

Geissel kehrte 1984 an die GSI zurück, um dort, am von Paul Kienle, Bernhard Franzke und Dieter Böhne konzipierten Schwer-Ionen-Synchrotron mit dem Experimentier-Speicher-Ring (SIS-ESR)-Projekts, die Konzeption, die Berechnung und den Aufbau des Projektil-Fragment-Separators, FRS, mit Gottfried Münzenberg und der GSI Infrastruktur zu realisieren.[3]

Erzeugung und Untersuchung neuer Atomkerne

Geissel hat am FRS der GSI über drei Jahrzehnte herausragende Forschungsleistungen erbracht, insbesondere zur Erzeugung und Untersuchung von neuen, instabilen Isotopen.[4] So wurde die GSI für ihre Beiträge zur Erzeugung und Massenbestimmung schwerer Kerne 1999 mit der 7. SUN-AMCO Medaille der IUPAP ausgezeichnet, die Hans Geissel und Sigurd Hofmann für die Gesellschaft entgegennahmen.[5] Seit 2012 führt Geissel ein vom Discovery of Nuclides Project erstelltes Ranking der Forscher mit den meisten neu erzeugten Isotopen an.[6]

Der erste Protonen-Halokern und die 2-Protonen-Radioaktivität sind weitere Beispiele für bedeutende Entdeckungen mit dem FRS und seinen Detektorsystemen. Neue schwere neutronenreiche Isotope sind astrophysikalisch von großer Bedeutung für das detaillierte Verständnis der Elementsynthese in den Sternen. Mit dem FRS-Zweig in Kombination mit dem Speicher- und Kühlerring ESR wurden hunderte von neuen Grundzustandsmassen erstmals gemessen.

Dabei wird die neue β-Zerfallsart in gebundenen atomaren Elektronenzuständen untersucht. Pionierexperimente der internationalen FRS-ESR-Kollaboration wurden von Geissel geleitet. Am dritten FRS-Zweig, der relativistische exotische Projektilstrahlen zu den großen Detektorsystemen LAND und ALADIN leitet, wurden durch vollständige kinematische Messungen aller nuklearen Reaktionsprodukte ebenfalls zahlreiche neue Kerneigenschaften entdeckt. Da der FRS gleichzeitig ein hochauflösendes Magnetspektrometer darstellt, werden auch neue atomare Eigenschaften von hochionisierten Schwerionen erforscht.

Die experimentellen Ergebnisse bei relativistischen Geschwindigkeiten zeigen klar starke Abweichungen zu der noch häufig benutzten Bethe-Theorie.[7] Genaue Daten zur atomaren Wechselwirkung sind auch für die Tumortherapie mit schweren Ionen notwendig. Anfang der 1990er Jahre war Geissel maßgeblich an Experimenten zur Anwendung von Positronen-Emittern in der Tumortherapie beteiligt. Ein weiterer Meilenstein in der wissenschaftlichen Arbeit von Geissel ist die experimentelle Entdeckung gebundener pionischer Zustände in schweren Atomen (Pb, Sn). Viele der genannten atom- und kernphysikalischen Fragestellungen untersucht er mit Kollegen in internationalen Forscherteams auch an Beschleunigern in Frankreich, Japan, Kanada und USA. Die erfolgreichen Experimente mit dem FRS werden in naher Zukunft mit dem im Bau befindlichen Super-FRS[8] zu höheren Raten und Genauigkeiten erweitert.

Auszeichnungen

Einzelnachweise

  1. II. Physikalisches Institut: AG Schneidenberger. In: uni-giessen.de. Abgerufen am 12. August 2023.
  2. Website der FRS-Gruppe. In: gsi.de. Abgerufen am 12. August 2023.
  3. H. Geissel, P. Armbruster, K. H. Behr et al.: The GSI projectile fragment separator (FRS): a versatile magnetic system for relativistic heavy ions. In: Nuclear Instruments & Methods in Physics Research B 70(1-4), S. 286–297 (1992). doi:10.1016/0168-583X(92)95944-M
  4. H.Geissel, Gottfried Münzenberg, K. Riisager: Secondary Exotic Nuclear Beams. In: Annual Review of Nuclear and Particle Science 45(1), S. 163–203 (1995). doi:10.1146/annurev.ns.45.120195.001115
  5. Report to the 1999 General Assembly for 1996-99. In: iupap.org. C2. Commission on Symbols, Units, Nomenclature, Atomic Masses and Fundamental Constants (SUNAMCO), abgerufen am 18. November 2023 (englisch).
  6. Er ist der Forscher mit den meisten Koautorschaften in Artikeln, die ein neues Isotop nachweisen, Stand 2022 mit 277 Koautorschaften/Isotopen. Siehe Michael Thoennessen: Top 1000 (co)authors 2022. Abgerufen am 12. August 2023. Im Jahr 2012 führte er erstmals die Liste mit 272 Koautorschaften an. Für die verwendeten Kriterien, vgl. Discovery of Nuclides Project.
  7. H. Geissel, H. Weick, C. Scheidenberger et al.: Experimental studies of heavy-ion slowing down in matter. In: Nuclear Instruments & Methods Physics Research B 195, S. 3–54 (2002). doi:10.1016/S0168-583X(02)01311-3
  8. H.Geissel, H. Weick, M. Winkler et al.: The Super-FRS project at GSI. In: Nuclear Instruments & Methods in Physics Research B 204, S. 71–85 (2003). doi:10.1016/S0168-583X(02)01893-1
  9. Membership Awards. In: gsi.de. Abgerufen am 6. November 2023.
  10. Justus-Liebig-Universität Gießen: Ehrendoktor für Prof. Dr. Hans Geissel. 28. Juli 2010, abgerufen am 30. Juni 2023.
  11. Michael Thoennessen: Table of top 1000 (co)authors. 2012, abgerufen am 12. August 2023.
  12. Auszeichnung der Foundation for Polish Science für Prof. Hans Geissel. In: idw. Justus-Liebig-Universität Gießen, 9. Februar 2020, abgerufen am 30. Juni 2023.
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